Frau Sickelmann begrüßt nochmals Herrn Pastor Kossen. Es gebe sicherlich niemanden, der es nicht bedauere, dass dieser Emmerich bald verlassen werde. Umso schöner sei es, wenn Herr Pastor Kossen den Mitgliedern des Sozialausschusses für ihre Arbeit etwas mit auf den Weg geben würde.

 

Herr Pastor Kossen bedankt sich für die Einladung und betont, dass er gerne vor dem Sozialausschuss rede. Er wolle in seinen Ausführungen Dinge benennen, die ihm in den letzten Jahren aufgefallen seien, er wolle Anregungen und Ermutigungen geben für die Arbeit im sozialen Bereich.

 

Er begann mit einem Gleichnis aus dem Lukas-Evangelium, das für ihn zugleich Verpflichtung als auch Anregung sei:

 

 „Im zehnten Kapitel des Lukas-Evangeliums heißt es, da stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn: ‚Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?’  Jesus sagte zu ihm:  ‚Was steht im Gesetz? Was liest du dort?’  Er antwortete: ‚Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken. Und deinen Nächsten sollst du leiben wie dich selbst.’ Jesus sagte zu ihm: ’Du hast richtig geantwortet. Handele danach und du wirst leben. Der Gesetzeslehrer wollte seine Frage rechtfertigen und sagte zu Jesus: ‚Und wer ist  mein Nächster?’  Darauf antwortete ihm Jesus: ‚Ein Mensch ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen- Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder. Dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab, er  sah ihn und ging weiter. Auch ein Levit kam zu der Stelle, er sah ihn und ging weiter. Dann kam ein Mann aus  Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Am anderen Morgen holte er  zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte zu ihm: ‚Sorge für ihn und wenn du mehr für ihn brauchst werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.’ Was meinst du: welcher von den Dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gesetzeslehrer antwortete: ’Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat.’ Da sagte Jesus zu ihm: ‚Dann gehe und handele genau so.’“

 

Kossen führt aus, dass in dieser Geschichte eine Reihe Sinnspitzen enthalten seien und führt zwei auf: der Priester, der auf dem Weg zum Tempeldienst war, durfte nicht mit Blut in Berührung kommen, denn dann war er nach damaliger Kult-Auffassung unfähig zum Tempeldienst. Und dahinter, so Kossen weiter, stehe die Frage, ob Gottesdienst oder Menschendienst wichtiger seien. Und Jesus stelle die klare Entscheidung des Priesters, dass der Gottesdienst wichtiger sei, in Frage. Die zweite Sinnspitze in der Geschichte sei, dass der Mann aus Samarien ein Ausländer sei, der aus Sicht der gläubigen Juden einer verurteilten und nicht akzeptierten Sekte angehöre. Und ausgerechnet der helfe. Für ihn sei, so Kossen, das Gleichnis eine Inspiration und Anregung auch für die Art und Weise, wie man Menschen helfen könne, die hilflos am Wegesrand stünden.

 

Dann führt er Beobachtungen an, die er in den letzten sieben Jahren in Emmerich gemacht hat. Auffällig sei für ihn die große, von vielen auch weltanschaulichen verschiedensten Richtungen mitgetragene soziale Bewegung in Emmerich. Viele Menschen engagierten sich aus den unterschiedlichsten Beweggründen für ihre Mitmenschen. Ganz konkret sei ihm dies aufgefallen beim Bündnis für Familie, aber es gebe noch viele weitere Stellen, wo Menschen sich für andere einsetzten. Die Gründe hierfür sieht er in der Geschichte der Stadt Emmerich begründet mit Zerstörung und Plünderung, aber auch mit Zeiten, wo die Menschen sehr wohlhabend waren und für sich auch die Sozialpflicht ihres Vermögens gesehen haben. Auch alte Stiftungen, Patrozinien und Hospize sieht Kossen als mögliche Gründe.

 

Aufgefallen sei ihm in der täglichen Arbeit auch das sachliche, konzentrierte und wohlwollende Arbeiten am Menschen. Die verschiedensten Beratungsstellen wie Sozialamt, Jugendamt, kirchliche Stellen und andere brächten eine hohe Kompetenz und Professionalität in ihrer Arbeit ein. Er erlebe es immer wieder, dass Leute im sozialen Bereich nicht nur motiviert, sondern auch gebildet seien. Es werde von den Trägern darauf geachtet, dass Leute eingesetzt werden, die ihre Arbeit auch können. Es reiche nicht aus, es gut zu meinen, sondern es müsse auch gut gemacht werden. Ihm sei auch aufgefallen, dass über und mit dem Klienten respektvoll gesprochen werde.

 

Sehr positiv sei ihm die Arbeit des Theodor Brauer Hauses und der Kolpingwerkstatt aufgefallen. Nach dreijähriger Ausbildung würden hier über 85 % der jungen Leute eine Festanstellung finden.

 

Aufgefallen sei ihm in Emmerich auch eine sehr unkomplizierte und gute Zusammenarbeit mit dem Sozialamt und mit dem Jugendamt, ein Vorteil einer kleinen Stadt. In einer Großstadt sei das nicht möglich, weil man sich nicht kenne. Die Leute profitierten von den kurzen Wegen. Sehr froh zu Kenntnis genommen habe er in den vergangenen Jahren, dass bei all den Sparzwängen, unter denen auch Emmerich stehe, im Sozialbereich keine großen Einschnitte gemacht wurden. Diesen politischen Konsens halte er für nicht selbstverständlich.

 

Aufgefallen sei ihm in Emmerich auch die große Drogenszene mit ihrem großen und leidvollen Umfeld. Familien aller gesellschaftlichen Gruppen seien betroffen. Kossen sieht diese Problematik als eine große Herausforderung für die Stadt und alle Beteiligten.

 

Brennpunkte wie die Rheinschule oder die innerstädtischen Kindergärten betrachtet er als ungewöhnlich  für eine so kleine Stadt wie Emmerich. Hier stellten sich soziale Herausforderungen, die er in dieser Dichte nicht erwartet hätte. Ebenfalls nicht erwartet hätte er die Verwahrlosung ganzer Familien und nennt als Stichwort „Ohne Frühstück in die Schule gehen“. Aber es sei nicht alle furchtbar, denn es gebe Sozialsysteme, die manchmal auch greifen würden wie Vereine oder Nachbarschaften. In einer Kleinstadt seien eher als in einer Großstadt soziale Systeme vorhanden. Dies gelinge der Kirche nur bedingt, da Menschen, die nicht zur Mittelschicht gehörten, sich aus ihm unbekannten Gründen der Kirche nicht zugehörig fühlten.

 

Wichtig sei eine gute Vernetzung der Beteiligten untereinander, damit so genannte Lebenskünstler Leistungen nicht mehrfach in Anspruch nehmen könnten.

 

Als Lücke im Netz nannte Kossen die Altersarmut. Hier seiht er dringenden Handlungsbedarf, weil viele dieser Menschen, die sich in wirklichen Notlagen befänden, sich schämten, vorhandene Angebote wie die Lebensmittelausgabe zu nutzen. Als ein Beispiel für eine mögliche Veränderung nennt Kossen die  Zustellung von Lebensmitteln nach Hause.

 

Als gelungenes Beispiel für Vernetzung nennt Kossen das Bündnis für Familie mit der initiierten Präventionskette gegen Kinderarmut „Pro kids“. Es gebe auch weitere gute Vernetzungen in der Stadt.

 

Eine große Herausforderung, die ihm in den letzten Jahren zunehmend aufgefallen sei, seien Migration, Integration und Inkulturation. Doch Migration  dürfe nicht als das Problem der heutigen Zeit dargestellt werden, denn Migration habe es schon immer gegeben. Man müsse nur vernünftig darüber diskutieren, wie Menschen verschiedenster ethnischer Herkunft in dieser Stadt zusammen leben. Migration sei eine Herausforderung, aber keine Not. Man müsse sich allerdings immer wieder aufraffen, sich über weltanschauliche Fragen auseinanderzusetzen. Diesen gegenseitigen  Dialog sieht  er als Inkulturation: Kulturen kommen miteinander in Berührung und beeinflussen oder befruchten sich. Wichtig sei, dass man sich auf Augenhöhe begegne. Als ein Beispiel für Inkulturation nannte er einen Sprachkurs für Frauen arabischer Herkunft, den die Leiterin eines Kindergartens ins Leben gerufen hat. Es gebe noch viele Dinge, die für Menschen mit Migrationshintergrund gemacht werden könnten, so Kossen.

Zum Thema Leiharbeit und Lohngerechtigkeit führt er aus, dass er die Notwendigkeit sehe, für viele Branchen eine Lohnuntergrenze einzuziehen, um so ausbeuterischen Tendenzen in der Arbeitswelt vorzubeugen. In Skandinavien bekämen Leiharbeiter zudem 10 % mehr Lohn als die festangestellten Kollegen. Hier bestehe großer Handlungsbedarf, da das Einkommen  vielfach bei voller Stundenzahl doch nicht ausreiche und Firmen bei Einstellung sagen „Und den Rest holst du dir beim Sozialamt“. Dann sei irgendetwas schief, so Kossen.

 

Wichtig sei auch, die Teilhabe von Menschen an Bildung, Freizeitmöglichkeiten und an Kultur zu ermöglichen. Als Beispiel nennt er die Möglichkeit, Menschen Eintrittskarten z.B. für das Stadttheater oder das Embricana zukommen zu lassen. Teilhabe dürfe gerade bei Kindern und Jugendlichen nicht am Geld scheitern. Teilhabe sei ein Grund gewesen für den Sozialaden, um hier Menschen möglichst niederschwellig ein Angebot unterbreiten zu können. Wo es möglich sei, sollten die Menschen beteiligt werden.

 

Kossen überlegt weiter, wie es möglich ist, Patenschaften z.B: für eine junge alleinerziehende Mutter anzuregen, ohne dass ein großer bürokratischer Aufwand entstehe. Jungen Leuten müssten Lebenskenntnisse vermittelt werden, die ihnen helfen, ein Leben in der Gesellschaft zu führen. Aus dem Zusammenspiel von verschiedensten Institutionen, die in Emmerich vorhandene sind, könne viel Positives entstehen. Kossen weist hier auf das Haus der Familie und die evangelische Familienbildungsstätte hin, die niederschwellige Angebote machen und eine wertvolle Arbeit leisten.

 

Kossen führt weiter aus, dass es einer Kultur des Zusammenlebens bedürfe. Für Emmerich könnte das heißen, dass man sagt: Familien haben hier Vorfahrt. Auch die Wohngruppen des Landschaftsverbandes oder von Papillon hebt er hervor. Das geplante Kulturenfest im Rheinpark hält er für eine gute Sache. Hier können sich Kulturen darstellen und es werde deutlich, dass die Stadt etwas für die Kultur des Zusammenlebens tue. Er ist sicher, dass es gemeinsame Werte geben kann über weltanschauliche und religiöse Grenzen hinweg.

 

Abschließend bedankt er sich für die konstruktive Zusammenarbeit in den letzten Jahren und beantwortet noch Fragen der Ausschussmitglieder.

 

Als kurzes Fazit fasst die Vorsitzende zusammen: Die Arbeit des Sozial- und des Jugendamtes verdiene Wertschätzung, weil sie schwer sei. In den vereinbarten Workshoprunden müsse überlegt werden, wie die vorhandenen Netzwerke unterstützt und Professionalität erhalten bleiben könne  Sie bedankt sich bei Herrn Pastor Kossen für den ausführlichen Vortrag.