Sitzung: 14.06.2011 Sozialausschuss
Frau Sickelmann begrüßt nochmals
Herrn Pastor Kossen. Es gebe sicherlich niemanden, der es nicht bedauere, dass
dieser Emmerich bald verlassen werde. Umso schöner sei es, wenn Herr Pastor
Kossen den Mitgliedern des Sozialausschusses für ihre Arbeit etwas mit auf den
Weg geben würde.
Herr Pastor Kossen bedankt sich für
die Einladung und betont, dass er gerne vor dem Sozialausschuss rede. Er wolle
in seinen Ausführungen Dinge benennen, die ihm in den letzten Jahren
aufgefallen seien, er wolle Anregungen und Ermutigungen geben für die Arbeit im
sozialen Bereich.
Er begann mit einem Gleichnis aus dem
Lukas-Evangelium, das für ihn zugleich Verpflichtung als auch Anregung sei:
„Im zehnten Kapitel des Lukas-Evangeliums heißt es, da stand ein
Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn:
‚Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?’ Jesus sagte zu ihm: ‚Was steht im Gesetz? Was liest du dort?’ Er antwortete: ‚Du sollst den Herrn, deinen
Gott lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all
deinen Gedanken. Und deinen Nächsten sollst du leiben wie dich selbst.’ Jesus
sagte zu ihm: ’Du hast richtig geantwortet. Handele danach und du wirst leben.
Der Gesetzeslehrer wollte seine Frage rechtfertigen und sagte zu Jesus: ‚Und
wer ist mein Nächster?’ Darauf antwortete ihm Jesus: ‚Ein Mensch ging
von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen- Sie
plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder. Dann gingen sie weg und ließen ihn
halbtot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab, er sah ihn und ging weiter. Auch ein Levit kam
zu der Stelle, er sah ihn und ging weiter. Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn
sah, hatte er Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und
verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge
und sorgte für ihn. Am anderen Morgen holte er
zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte zu ihm: ‚Sorge für ihn
und wenn du mehr für ihn brauchst werde ich es dir bezahlen, wenn ich
wiederkomme.’ Was meinst du: welcher von den Dreien hat sich als der Nächste
dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gesetzeslehrer
antwortete: ’Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat.’ Da sagte Jesus zu ihm:
‚Dann gehe und handele genau so.’“
Kossen führt aus, dass in dieser
Geschichte eine Reihe Sinnspitzen enthalten seien und führt zwei auf: der
Priester, der auf dem Weg zum Tempeldienst war, durfte nicht mit Blut in
Berührung kommen, denn dann war er nach damaliger Kult-Auffassung unfähig zum
Tempeldienst. Und dahinter, so Kossen weiter, stehe die Frage, ob Gottesdienst
oder Menschendienst wichtiger seien. Und Jesus stelle die klare Entscheidung
des Priesters, dass der Gottesdienst wichtiger sei, in Frage. Die zweite
Sinnspitze in der Geschichte sei, dass der Mann aus Samarien ein Ausländer sei,
der aus Sicht der gläubigen Juden einer verurteilten und nicht akzeptierten
Sekte angehöre. Und ausgerechnet der helfe. Für ihn sei, so Kossen, das
Gleichnis eine Inspiration und Anregung auch für die Art und Weise, wie man
Menschen helfen könne, die hilflos am Wegesrand stünden.
Dann führt er Beobachtungen an, die er
in den letzten sieben Jahren in Emmerich gemacht hat. Auffällig sei für ihn die
große, von vielen auch weltanschaulichen verschiedensten Richtungen
mitgetragene soziale Bewegung in Emmerich. Viele Menschen engagierten sich aus
den unterschiedlichsten Beweggründen für ihre Mitmenschen. Ganz konkret sei ihm
dies aufgefallen beim Bündnis für Familie, aber es gebe noch viele weitere
Stellen, wo Menschen sich für andere einsetzten. Die Gründe hierfür sieht er in
der Geschichte der Stadt Emmerich begründet mit Zerstörung und Plünderung, aber
auch mit Zeiten, wo die Menschen sehr wohlhabend waren und für sich auch die
Sozialpflicht ihres Vermögens gesehen haben. Auch alte Stiftungen, Patrozinien
und Hospize sieht Kossen als mögliche Gründe.
Aufgefallen sei ihm in der täglichen
Arbeit auch das sachliche, konzentrierte und wohlwollende Arbeiten am Menschen.
Die verschiedensten Beratungsstellen wie Sozialamt, Jugendamt, kirchliche
Stellen und andere brächten eine hohe Kompetenz und Professionalität in ihrer
Arbeit ein. Er erlebe es immer wieder, dass Leute im sozialen Bereich nicht nur
motiviert, sondern auch gebildet seien. Es werde von den Trägern darauf
geachtet, dass Leute eingesetzt werden, die ihre Arbeit auch können. Es reiche
nicht aus, es gut zu meinen, sondern es müsse auch gut gemacht werden. Ihm sei
auch aufgefallen, dass über und mit dem Klienten respektvoll gesprochen werde.
Sehr positiv sei ihm die Arbeit des
Theodor Brauer Hauses und der Kolpingwerkstatt aufgefallen. Nach dreijähriger
Ausbildung würden hier über 85 % der jungen Leute eine Festanstellung finden.
Aufgefallen sei ihm in Emmerich auch
eine sehr unkomplizierte und gute Zusammenarbeit mit dem Sozialamt und mit dem
Jugendamt, ein Vorteil einer kleinen Stadt. In einer Großstadt sei das nicht
möglich, weil man sich nicht kenne. Die Leute profitierten von den kurzen
Wegen. Sehr froh zu Kenntnis genommen habe er in den vergangenen Jahren, dass
bei all den Sparzwängen, unter denen auch Emmerich stehe, im Sozialbereich
keine großen Einschnitte gemacht wurden. Diesen politischen Konsens halte er
für nicht selbstverständlich.
Aufgefallen sei ihm in Emmerich auch die
große Drogenszene mit ihrem großen und leidvollen Umfeld. Familien aller
gesellschaftlichen Gruppen seien betroffen. Kossen sieht diese Problematik als
eine große Herausforderung für die Stadt und alle Beteiligten.
Brennpunkte wie die Rheinschule oder die
innerstädtischen Kindergärten betrachtet er als ungewöhnlich für eine so kleine Stadt wie Emmerich. Hier
stellten sich soziale Herausforderungen, die er in dieser Dichte nicht erwartet
hätte. Ebenfalls nicht erwartet hätte er die Verwahrlosung ganzer Familien und
nennt als Stichwort „Ohne Frühstück in die Schule gehen“. Aber es sei nicht
alle furchtbar, denn es gebe Sozialsysteme, die manchmal auch greifen würden
wie Vereine oder Nachbarschaften. In einer Kleinstadt seien eher als in einer Großstadt
soziale Systeme vorhanden. Dies gelinge der Kirche nur bedingt, da Menschen,
die nicht zur Mittelschicht gehörten, sich aus ihm unbekannten Gründen der
Kirche nicht zugehörig fühlten.
Wichtig sei eine gute Vernetzung der
Beteiligten untereinander, damit so genannte Lebenskünstler Leistungen nicht
mehrfach in Anspruch nehmen könnten.
Als Lücke im Netz nannte Kossen die
Altersarmut. Hier seiht er dringenden Handlungsbedarf, weil viele dieser
Menschen, die sich in wirklichen Notlagen befänden, sich schämten, vorhandene
Angebote wie die Lebensmittelausgabe zu nutzen. Als ein Beispiel für eine
mögliche Veränderung nennt Kossen die
Zustellung von Lebensmitteln nach Hause.
Als gelungenes Beispiel für Vernetzung
nennt Kossen das Bündnis für Familie mit der initiierten Präventionskette gegen
Kinderarmut „Pro kids“. Es gebe auch weitere gute Vernetzungen in der Stadt.
Eine große Herausforderung, die ihm in
den letzten Jahren zunehmend aufgefallen sei, seien Migration, Integration und
Inkulturation. Doch Migration dürfe
nicht als das Problem der heutigen Zeit dargestellt werden, denn Migration habe
es schon immer gegeben. Man müsse nur vernünftig darüber diskutieren, wie
Menschen verschiedenster ethnischer Herkunft in dieser Stadt zusammen leben.
Migration sei eine Herausforderung, aber keine Not. Man müsse sich allerdings
immer wieder aufraffen, sich über weltanschauliche Fragen auseinanderzusetzen.
Diesen gegenseitigen Dialog sieht er als Inkulturation: Kulturen kommen
miteinander in Berührung und beeinflussen oder befruchten sich. Wichtig sei,
dass man sich auf Augenhöhe begegne. Als ein Beispiel für Inkulturation nannte
er einen Sprachkurs für Frauen arabischer Herkunft, den die Leiterin eines
Kindergartens ins Leben gerufen hat. Es gebe noch viele Dinge, die für Menschen
mit Migrationshintergrund gemacht werden könnten, so Kossen.
Zum Thema Leiharbeit und
Lohngerechtigkeit führt er aus, dass er die Notwendigkeit sehe, für viele
Branchen eine Lohnuntergrenze einzuziehen, um so ausbeuterischen Tendenzen in
der Arbeitswelt vorzubeugen. In Skandinavien bekämen Leiharbeiter zudem 10 %
mehr Lohn als die festangestellten Kollegen. Hier bestehe großer
Handlungsbedarf, da das Einkommen
vielfach bei voller Stundenzahl doch nicht ausreiche und Firmen bei
Einstellung sagen „Und den Rest holst du dir beim Sozialamt“. Dann sei
irgendetwas schief, so Kossen.
Wichtig sei auch, die Teilhabe von
Menschen an Bildung, Freizeitmöglichkeiten und an Kultur zu ermöglichen. Als
Beispiel nennt er die Möglichkeit, Menschen Eintrittskarten z.B. für das
Stadttheater oder das Embricana zukommen zu lassen. Teilhabe dürfe gerade bei
Kindern und Jugendlichen nicht am Geld scheitern. Teilhabe sei ein Grund
gewesen für den Sozialaden, um hier Menschen möglichst niederschwellig ein
Angebot unterbreiten zu können. Wo es möglich sei, sollten die Menschen
beteiligt werden.
Kossen überlegt weiter, wie es möglich
ist, Patenschaften z.B: für eine junge alleinerziehende Mutter anzuregen, ohne
dass ein großer bürokratischer Aufwand entstehe. Jungen Leuten müssten
Lebenskenntnisse vermittelt werden, die ihnen helfen, ein Leben in der
Gesellschaft zu führen. Aus dem Zusammenspiel von verschiedensten
Institutionen, die in Emmerich vorhandene sind, könne viel Positives entstehen.
Kossen weist hier auf das Haus der Familie und die evangelische
Familienbildungsstätte hin, die niederschwellige Angebote machen und eine
wertvolle Arbeit leisten.
Kossen führt weiter aus, dass es einer
Kultur des Zusammenlebens bedürfe. Für Emmerich könnte das heißen, dass man
sagt: Familien haben hier Vorfahrt. Auch die Wohngruppen des
Landschaftsverbandes oder von Papillon hebt er hervor. Das geplante
Kulturenfest im Rheinpark hält er für eine gute Sache. Hier können sich
Kulturen darstellen und es werde deutlich, dass die Stadt etwas für die Kultur
des Zusammenlebens tue. Er ist sicher, dass es gemeinsame Werte geben kann über
weltanschauliche und religiöse Grenzen hinweg.
Abschließend bedankt er sich für die
konstruktive Zusammenarbeit in den letzten Jahren und beantwortet noch Fragen
der Ausschussmitglieder.
Als kurzes Fazit fasst die Vorsitzende
zusammen: Die Arbeit des Sozial- und des Jugendamtes verdiene Wertschätzung,
weil sie schwer sei. In den vereinbarten Workshoprunden müsse überlegt werden,
wie die vorhandenen Netzwerke unterstützt und Professionalität erhalten bleiben
könne Sie bedankt sich bei Herrn Pastor
Kossen für den ausführlichen Vortrag.