Beschlussvorschlag

 

Der Rat beschließt, auf den Aufbau und Betrieb eines Rats-TV zu verzichten.

 

Sachdarstellung :

 

 

1,       Prüfauftrag

Mit Antrag vom 02. April 2020 (Anlage 1) regt die BGE-Fraktion den Aufbau und Betrieb eines Rats-TV nach der Kommunalwahl 2020 an.

Der Haupt- und Finanzausschuss hat in seiner Sitzung am 09.06.2020 die Verwaltung beauftragt, eine Vorlage zu erarbeiten, die die mit der Einführung eines sog. „Rats-TV-Systems“ verbundenen wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte abbildet; diese soll der anlässlich der Kommunalwahl 2020 neu gewählten Vertretung zur Beschlussfassung zugeleitet werden.

 

Einen ähnlichen Antrag formulierte die BGE-Ratsfraktion bereits im Juli 2012 (hier: Antrag Einführung EM-TV). Verwaltungsseitig wurde zur Sitzung des Rates am 02.10.2012 eine umfangreiche Beschlussvorlage erstellt (Anlage 2; Vorlage Nr. 01-15 0764/2012). Eine Beschlussfassung des Rates erfolgte seinerzeit nicht, da die Antragstellerin ihren Antrag in der Sitzung zurückzog und gleichsam ankündigte, diesen in modifizierter Form zu einem späteren Zeitpunkt erneut einzubringen.

Der verwaltungsseitig formulierte Beschlussvorschlag sprach sich im Jahr 2012 gegen die Realisierung aus; begründet wurde diese Beschlussempfehlung mit dem hohen finanziellen Aufwand pro Sitzung und datenschutzrechtlichen Bedenken.

 

2.         Realisierbarkeit

Die aufgrund der Beauftragung durch die politischen Entscheidungsträger erneut durchgeführte Prüfung kommt zu folgenden Ergebnissen:

Die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen, die in der Beschlussvorlage 01-150764/2012 abgebildet sind, haben sich seither nicht wesentlich geändert.

Grundsätzlich steht es im Ermessen der Kommunen, Sitzungen aufzuzeichnen und live oder zeitversetzt im Internet zu übertragen.

Gegeneinander abzuwägen sind bei Entscheidungsfindung die Anstrengungen, die die Sicherstellung des Datenschutzes erfordern und die einmalig und fortlaufend aufzubringenden Kosten.

 

 

2.1       Rechtlicher Rahmen

Gem. § 48 Absatz 2 Satz 1 der Gemeindeordnung NRW (GO NRW) sind die Sitzungen des Rates öffentlich. Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist Ausfluss des Demokratiegebotes des Grundgesetzes. Die Möglichkeit der Teilnahme durch interessierte Bürgerinnen und Bürger wird begrenzt durch die jeweilige Räumlichkeit. Die Einführung eines Video-Streamings von Ratssitzungen ermöglicht grundsätzlich einem größeren Personenkreis die mittelschwere Teilhabe an den Beratungen und Entscheidungen der politischen Entscheidungsträger.

Bei der Liveübertragung via Internet oder beim Aufzeichnen von Bild und Ton handelt es sich um die Verarbeitung personenbezogener Daten, und zwar in Form der weltweiten Übermittlung an einen unbestimmten Personenkreis (vgl. § 16 Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen – DSG NRW). Jede Aufnahme und Speicherung von Bild und Ton setzt allerdings die ausdrückliche Zustimmung der betroffenen Personen voraus.

 

 

 

 

 

 

Der Städte- und Gemeindebund NW führt aktuell in Mitteilung 697/2020 vom 23.11.2020 aus:

 

„Während solcher Aufnahmen im Live-Streaming werden personenbezogenen Daten der jeweiligen Anwesenden verarbeitet. Diese Verarbeitung bedarf nach Art. 6 Abs. 1 Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) einer datenschutzrechtlichen Rechtfertigung. In Betracht kommt hierfür nur die vorherige Einwilligung, da die Alternativen des Art. 6 Abs. 1 DS-GVO ausscheiden.

Neben den Vorteilen von Live-Streaming-Angeboten oder Aufzeichnungen ist weiterhin zu bedenken, dass die Ratsarbeit ein kommunales Ehrenamt darstellt. Die Ehrenamtlichen sind rhetorisch nicht genauso geschult und vorbereitet wie Berufspolitiker. Aus diesem Grund könnten dem Einen oder Anderem Hemmungen entstehen und die Mitarbeit in der Kommunalpolitik unattraktiver werden. Wegen dieser allgemeinen Bedenken haben sich die kommunalen Spitzenverbände stets gegen eine verbindliche Regelung in der GO NRW ausgesprochen.

Den Kommunen steht es dennoch frei, solche technischen Möglichkeiten unter Wahrung der Datenschutzvorschriften zu nutzen. Das bedeutet, jedes Ratsmitglied muss einer etwaigen Aufnahme zustimmen. Ein Widerspruch einer einzelnen Person führt dazu, dass sichergestellt werden muss, dass keine personenbezogenen Daten dieser Person verarbeitet werden. Andernfalls läge ein Datenschutzverstoß vor.“

 

Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen erläutert 2017 auf entsprechende Anfrage:

 

„An einer speziellen Rechtsgrundlage zur Übertragung von Sitzungen via Internet, um den Bürgerinnen und Bürgern eine weitere Informationsmöglichkeit zu bieten, fehlt es im nordrhein-westfälischen Landesrecht. Eine solche Rechtsgrundlage kann auch nicht in der Geschäftsordnung des Rates oder in der Hauptsatzung geschaffen werden. Bei der Geschäftsordnung handelt es sich schon mangels Außenwirkung nicht um eine Rechtsvorschrift im Sinne des DSG NRW. Die Schaffung einer Rechtsgrundlage in der Hauptsatzung scheitert daran, dass der Gesetzgeber alle wesentlichen, das heißt insbesondere alle grundrechtseinschränkenden Entscheidungen, selbst treffen muss.

Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass § 48 Abs. 2 S. 1 Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen (GO NRW) keine Rechtsgrundlage für die Übertragung einer Ratssitzung in Bild und Ton via Internet sein kann. Geregelt ist die Öffentlichkeit der Sitzung der Vertretungskörperschaften als Ausgestaltung des Demokratieprinzips. Auf das Verfahren in Ausschüssen, darunter auch die Sitzungen der Ausschüsse, finden nach § 58 Abs. 2 S. 1 GO NRW die für den Rat geltenden Vorschriften entsprechend Anwendung. Die herzustellende „Öffentlichkeit“ erstreckt sich jedoch nur auf die sogenannte Sitzungsöffentlichkeit, eine Erweiterung auf die sogenannte Medienöffentlichkeit und die damit einhergehende Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aller betroffenen Personen kann nicht auf § 48 Abs. 2 S. 1 GO NRW gestützt werden. 

Demnach kann die Übertragung von Sitzungen nur zulässig sein, wenn die betroffenen Personen eingewilligt haben. Die Einwilligung muss auf der Grundlage einer umfassenden vorherigen Information freiwillig und schriftlich erfolgen, außerdem muss sie jederzeit widerrufbar sein.

Zu berücksichtigen sind die verschiedenen Personengruppen, die von der Datenverarbeitung betroffen sein können. Betroffen sind in erster Linie Mandatsträgerinnen und -träger, aber ggf. auch Beschäftigte der Kommunen, sachkundige Bürgerinnen und Bürger sowie Zuschauerinnen und Zuschauer.

Besonderes Augenmerk ist auf die Voraussetzung der Freiwilligkeit der Einwilligung von Mandatsträgerinnen und –trägern sowie von Beschäftigten zu legen. Der Betroffenen darf sich nicht in einer Situation sehen, die ihn faktisch dazu zwingt, die Einwilligung zu erteilen, sprich seine personenbezogenen Daten freizugeben. Eine solche Gefahr besteht insbesondere bei Abhängigkeitsverhältnissen – wie dem Beschäftigtenverhältnis. Ihr sollte entgegengewirkt werden, indem der betroffenen Person genügend Handlungsspielraum geboten wird, und zwar in Form tatsächlicher und unkomplizierter Alternativen, personenbezogene Daten nicht preiszugeben

Kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie (§ 47 Abs. 2 GO NRW) obliegt es prinzipiell dem Rat, im Rahmen der Gesetze über eine Erweiterung auf die angesprochene Medienöffentlichkeit zu entscheiden. In der Geschäftsordnung sind darüber hinaus sämtliche Rahmenbedingungen für die Liveübertragung ins Internet zu regeln; dazu zählen Verfahrensregelungen, wie zur Einwilligung und zu den Widerrufsmöglichkeiten, Regelungen zur Aufnahme und Übertragung an sich, etwa zur Auflösung, zur Kameraeinstellung etc.

Wie schon im Rahmen der Einwilligung angesprochen, sind die Interessen der unterschiedlichen Personengruppen am Schutz ihrer personenbezogenen Daten, an Teilhabe und Demokratiekontrolle, an ungestörter Mandatsausübung sowie die Funktionsfähigkeit des Rates zu berücksichtigen und in ein angemessenes Verhältnis zu setzen. Im Allgemeinen gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Übertragung einer Sitzung nur so weit gehen darf, wie es zur Informationsübermittlung erforderlich ist. So können etwa im Einzelfall Aufnahmen aufs Rednerpult beschränkt werden. Außerdem ist dafür Sorge zu tragen, dass die Kamera für den nicht-öffentlichen Teil der Sitzung oder beim Fehlen der entsprechenden Einwilligungserklärung einer betroffenen Person ad hoc ausgeschaltet wird. Ggf. ist auch ein Archivierungskonzept zu erstellen, in dem etwaige Löschungsfristen und Zugriffsrechte festgelegt werden.“

 

Nach rechtlicher Würdigung setzt die Übertragung von Sitzungen der Vertretungskörperschaft mithin eine ausdrückliche Einwilligung aller am Sitzungsgeschehen Beteiligten voraus. Hierzu zählen neben den Mandatsträger*innen auch Zuschauer*innen sowie Beschäftigte der Kommunen. Der vorgenannte Personenkreis kann die erteilte Einwilligung jederzeit –also auch während der Sitzung und ggf. auch in deren Nachgang- widerrufen. Die Umsetzung muss diesen normativen Anforderungen gerecht werden.

 

2.2       Technische Realisierbarkeit

Bei einem Livestreaming werden die Sitzungen als Video aufgezeichnet und dieses Video wird live (oder zeitverzögert) im Internet der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Dabei gilt es, verschiedene technische Varianten zu berücksichtigen, die im Folgenden näher erläutert werden.

Bei den entstehenden Kosten ist zu unterscheiden, ob die für ein Livestreaming notwendige Hardware verwaltungsseitig gekauft oder für jede Sitzung von einem Dienstleister bereitgestellt wird.

 

 

In die Prüfung wurden u.a. auch archivierte Ratssitzungen von Städten einbezogen, die ihre Sitzungen übertragen. In diesem Zusammenhang zeigte sich regelmäßig, dass dort die Redebeiträge an einem Rednerpult geleistet werden. Diese Kultur der Debatte -Mandatsträger*innen verlassen für ihren Wortbeitrag den Sitzplatz und begeben sich das Rednerpult- trägt den datenschutzrechtlichen Anforderungen Rechnung (siehe vorstehende Ausführungen der Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW).

Die Aufnahme aus der Totalen -unter Beibehaltung der aktuellen Sitzungs- und Redekultur- finden zudem ihre Grenzen in der Aufnahmetechnik (erhöhter Ausstattungs- und Bedienaufwand). Die Ausführungen der technischen Realisierbarkeit basieren daher auf der Annahme, dass eine Kamera den Sitzungsvorsitzenden filmt und eine weitere auf ein Rednerpult gerichtet ist.

 

Bei der benötigten Hardware handelt es sich um zwei Videokameras zur Aufzeichnung, ein entsprechendes Mischpult und ggf. ein Videoencoder, um die Aufnahmen für das Internet aufzubereiten. Unter der Annahme, dass jede Sitzung des Rates gestreamt werden soll und die Sitzungen i.d.R. an einem festen Standort stattfinden, wird der Kauf der Hardware bevorzugt, da auf diese Weise zumindest Auf- und Abbauaufwand entfallen würde.

Zu den Kosten zum Erwerb der Hardware, der mit einmalig rd. 10.000 Euro zu beziffern wäre, kommen laufende Kosten für die Betreuung der Anlage während der Sitzungen sowie zur Vor- und Nachbereitung des Videos hinzu. Diese Aufgabe kann durch eigenes Personal aufgrund fehlender personeller Ressourcen nicht erbracht werden und müsste über einen Dienstleister eingekauft werden.

Im Rahmen des Prüfauftrages wurden entsprechende Markterkundungen durchgeführt und unverbindliche Angebote eingeholt. Diese bewegen sich –in Abhängigkeit von dem gewünschten Leistungsumfang- im Spektrum zwischen 900 Euro und 1.500 Euro pro Sitzung.

Diese Ergebnisse decken sich mit den Kosten, die Kommunen für das Livestreaming ihrer Gremiensitzungen veröffentlich haben. Die Kosten pro Sitzung stellen sich wie folgt dar:

Stadt Essen: 700 €
Stadt Bottrop: 800 €
Stadt Solingen: 1000 €
Stadt Leverkusen: 1600 €

Stadt Braunschweig: 1600 €

 

3.            Fazit

Die Übertragung von Sitzungen des Rates unter Beachtung der insbesondere datenschutzrechtlichen Bestimmungen ist grundsätzlich zulässig und auch technisch umsetzbar.

Verwaltungsseitig werden die Bedenken der kommunalen Spitzenverbände zu den Auswirkungen auf die Sitzungskultur geteilt. Aufzeichnung und Übertragung in Bild und Ton kann eine besondere Hemmschwelle darstellen und Redner*innen in ihrer freien Mandatsausübung einschränken. Zudem sind die Möglichkeiten der Verwertung und Veränderung der Aufnahmen durch Dritte in einer für die Beteiligten nicht wünschenswerten Form nicht zu vermeiden bzw. technisch nicht zu garantieren. Es besteht weiterhin die Gefahr des Missbrauchs und der Bloßstellung.

Darüber hinaus werden sich bedingt durch die Anforderungen an das Streaming die Abläufe der Sitzungen ändern müssen. Zudem wird jede Sitzung mit einem deutlichen Mehr an Ressourceneinnsatz einhergehen.

In der Gesamtschau der sachverhaltsrelevanten Aspekte empfiehlt die Verwaltung abermals, die Einführung nicht umzusetzen, da Aufwand und Risiken in keiner vertretbaren Relation zum möglichen Nutzen stehen.

 

Finanz- und haushaltswirtschaftliche Auswirkungen :

 

Die Maßnahme hat keine finanz- und haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen.

 

 

 

Leitbild :

 

 

Die Maßnahme steht im Einklang mit den Zielen des Leitbildes Kapitel 6.2.

 

 

 

Peter Hinze

Bürgermeister