Betreff
Pilotprojekt "Stadt-Podcast Emmerich" für Ratssitzungen;
hier: Antrag an den Rat Nr. XIII/2021 an den Rat der Stadt Emmerich am Rhein
Vorlage
01 - 17 0198/2022
Art
Verwaltungsvorlage

Beschlussvorschlag

 

Der Haupt- und Finanzausschuss nimmt die Ausführungen zur Kenntnis und weist den Antrag für ein Pilotprojekt „Stadt-Podcast-Emmerich“ zurück.

 

Sachdarstellung :

 

  1. Prüfauftrag

Mit Antrag vom 24. Februar 2021 (Anlage 1) an den Rat der Stadt regt die BGE-Fraktion ein Pilotprojekt „Stadt-Podcast Emmerich“ an. Damit sollen, für die Dauer von zwei Jahren, die für das Protokoll aufgezeichneten Audiomitschnitte der Ratssitzungen für jeden zugänglich im Internet zur Verfügung gestellt werden.

Der Rat der Stadt hat diesen Antrag in seiner Sitzung am 30.03.2021 an den Haupt- und Finanzausschuss verwiesen und die Verwaltung damit beauftragt, eine Vorlage zu erarbeiten und alle sachverhaltsrelevanten Aspekte zu prüfen.

Der Stadt-Podcast soll eine Vorstufe für ein mögliches Rats-TV sein, das aufgrund entsprechender Anträge bereits Gegenstand der Verwaltungsvorlagen 01-15 0764/2012 und 01-17 0120/2021 war. Die politischen EntscheidungsträgerInnen haben die Anträge jeweils negativ beschieden (Sitzungen des Rates am 02.10.2012 und 23.02.2021).

 

 

  1. Realisierbarkeit ”Stadt-Podcast-Emmerich”

2.1.             rechtlicher Rahmen

Gem. § 48 Absatz 2 Satz 1 der Gemeindeordnung NRW (GO NRW) sind die Sitzungen des Rates öffentlich. Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist Ausfluss des Demokratiegebotes des Grundgesetzes. Die Möglichkeit der Teilnahme durch interessierte BürgerInnen wird begrenzt durch die jeweilige Räumlichkeit. Durch den beantragten „Stadt-Podcast-Emmerich“ könnten einem interessierten Personenkreis nachträglich die entsprechend bearbeiteten Tonaufnahmen des Sitzungsverlaufes zugänglich gemacht werden. 

Die Verwaltung verweist an dieser Stelle auf die bereits erfolgte umfangreiche rechtliche Würdigung von Mitschnitten bzw. Aufnahmen von Ratssitzungen. Bei Tonaufnahmen handelt es sich um die Verarbeitung personenbezogener Daten und zwar in Form der weltweiten Übermittlung an einen unbestimmten Personenkreis (vgl. § 16 Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen – DSG NRW). Aus diesem Grund müssen Teilnehmer einer Ratssitzung trotz grundsätzlich vorgegebener Öffentlichkeit der Sitzungen (sog. Saalöffentlichkeit) nicht hinnehmen, dass ihre Wortbeiträge aufgezeichnet und öffentlich bereit gestellt werden. Die verfassungsrechtlich geschützten Rechte der Teilnehmer am eigenen Wort sowie auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1 i.V. m. Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz, §§ 4 (1), 13 (1), 16 (1) DSG NRW) sind zu berücksichtigen. Jede Aufnahme und Speicherung von Bild und Ton setzt bislang die ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Personen voraus.

 

Daraus folgt, dass die TeilnehmerInnen einer Sitzung im Vorfeld eine schriftliche Einverständniserklärung unterzeichnen – sinnvollerweise für die laufende Ratsperiode. Dieses Einverständnis kann jederzeit – also z.B. direkt vor dem Wortbeitrag oder auch

nach der Sitzung – widerrufen werden. Dies ist sowohl generell als auch für einzelne

Äußerungen möglich. Die betroffenen Äußerungen dieses Ratsmitgliedes sind dann aus

der Aufzeichnung zu entfernen; dies betrifft auch Zwischenrufe.

Die vorgehenden Ausführungen gelten grundsätzlich auch bezogen auf die an der Sitzung teilnehmenden EinwohnerInnen sowie für MitarbeiterInnen der Verwaltung.

 

2.2.             technische Realisierbarkeit

Tonaufnahmen der Ratssitzungen werden zum Zwecke der Erstellung der Sitzungsniederschrift (§ 23 Abs. 5 der Geschäftsordnung für den Rat und seine Ausschüsse) bereits erstellt. Zur Veröffentlichung müsste eine Bearbeitung durch ein Audioeditor-Programm erfolgen. Aus rein technischer Sicht wäre dies mit überschaubarem finanziellen Aufwand zu leisten.

 

Allerdings ist davon auszugehen, dass für die Bearbeitung der Mitschnitte ein nicht unerheblicher personeller Aufwand entstehen würde, dessen Umfang jeweils in Abhängigkeit zu der Anzahl der Teilnehmer stünde, die vor oder während der Aufzeichnung einer Verbreitung der Aufzeichnung ihrer Wortbeiträge im Internet widersprächen.  Laut Erfahrungsberichte anderer Kommunen, die Sitzungsmitschnitte in der begehrten Weise bearbeiten und im Internet veröffentlichen, ist von einer durchschnittlichen Nachbearbeitungsdauer von ca. 5 – 8 Stunden pro Sitzung auszugehen.

Die personellen Kapazitäten für eine entsprechende Bearbeitung stehen in der Verwaltung aktuell nicht zur Verfügung.

 

Erhöhter technischer Aufwand müsste auch dahingehend betrieben werden, ein Abspielen zu ermöglichen, aber das Herunterladen der Datei mit der Möglichkeit der Speicherung und Manipulation durch Dritte auszuschließen. Im Zuge der Recherche kontaktierte Anbieter weisen sämtlich darauf hin, dass aktuell keine Lösung existiert, die eine Speicherung und mögliche Manipulation der gespeicherten Audiodatei sicher zu verhindern mag. 

 

 

  1. Würdigung

Die Bereitstellung der Audiomitschnitte der Sitzungen des Rates für die Öffentlichkeit unter Beachtung insbesondere der datenschutzrechtlichen Bestimmungen ist grundsätzlich zulässig und auch technisch umsetzbar.  Es steht im Ermessen der jeweiligen Kommunen darüber zu entscheiden, ob und unter welchen Prämissen Audiomitschnitte gefertigt und zeitversetzt im Internet zugänglich gemacht werden.

 

Die retrospektive Bereitstellung von Tonaufnahmen der Ratssitzungen eignet sich allenfalls dazu, einen daran interessierten Personenkreis nachlaufend zu informieren. Die unmittelbare Teilnahme an den Beratungen und Entscheidungen der politischen Entscheidungsträger kann dadurch nicht ermöglicht werden. „Nachlaufende Informationen“ sind auch durch das ohnehin zu fertigende und zugänglich zu machende Sitzungsprotokoll, dies jedoch ohne zusätzlichen verwaltungsseitigen Aufwand, zu erlangen.

Wie in den vorangehenden Prüfungen ausgeführt, können Aufzeichnung und Übertragung in Ton eine Hemmschwelle darstellen und RednerInnen in ihrer freien Mandatsausübung einschränken.

Zudem sind die Möglichkeiten der Verwertung und Veränderung der Aufnahmen durch Dritte in einer für die Beteiligten nicht wünschenswerten Form nicht zu vermeiden bzw. technisch nicht zu garantieren. Es besteht weiterhin die Gefahr des Missbrauchs und der Bloßstellung.

 

Die Verwaltung empfiehlt nach Prüfung der sachverhaltsrelevanten Aspekte, das Projekt „Stadt-Podcast Emmerich“ nicht umzusetzen, da die mit der Einführung verbundenen Nachteile und Risiken in keiner vertretbaren Relation zum erhofften Nutzen stehen.

 

 

  1. Ausblick

Der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung digitaler Sitzungen für kommunale Gremien und zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften (Drucksache 17/16295) verfolgt u.a. die Zielsetzung, die Möglichkeiten der digitalen Gremienarbeit zu erweitern. Damit wird den Kommunen voraussichtlich zeitnah ein Regelwerk zur Durchführung digitaler bzw. hybrider Sitzungen des Rates und seiner Ausschüsse zur Verfügung stehen.

 

In den Erläuterungen zum Entwurfstext (hier: Buchstabe K –Auswirkungen auf das E-Government und die Digitalisierung von Staat und Verwaltung) heißt es hierzu:

 

„Die teilweise oder in besonderen Ausnahmefällen auch vollständig digitale Durchführung von Gremiensitzungen befördert die Einführung und Weiterentwicklung digitaler Sitzungstechniken, die den besonderen Anforderungen rechtsicherer kommunaler Gremien-beschlüsse entsprechen und stärkt die digitale Kompetenz der Mandatsträgerinnen und Mandatsträger.

Zudem wird ein rechtlicher Rahmen für die kommunalen Vertretungen geschaffen, durch Film, Bild- und Tonaufnahmen ihrer Sitzungen und deren Veröffentlichung auch über das Internet für interessierte Bürgerinnen und Bürger die kommunalpolitische Entscheidungs-findung online transparent zu machen.“

 

Der Entwurf sieht u.a. vor, § 48 GO NW (Tagesordnung und Öffentlichkeit der Ratssitzungen) um Abs. 4 wie folgt zu ergänzen:

 

Abs. 4

In öffentlichen Sitzungen sind Bildaufnahmen zulässig, wenn sie die Ordnung der Sitzung nicht gefährden. Film- und Tonaufnahmen von Ratsmitgliedern mit dem Ziel der Veröffentlichung sind in öffentlicher Sitzung nur zulässig, soweit die Hauptsatzung das bestimmt.

 

Durch diese Ergänzung wäre die im Rahmen der rechtlichen Würdigung dargestellte datenschutzrechtliche Problematik – jedenfalls bezogen das Recht am gesprochen Wort und eigenen Bild der politischen Entscheidungsträger- ausgeräumt.

 

Die kommunalen Spitzenverbände haben zum Gesetzentwurf ausführlich Stellung bezogen (Schnellbrief Städte- und Gemeindebund NRW 5/2022 vom 06.01.2022) und positionieren sich zur beabsichtigten Novellierung des § 48 GO NW wie folgt:

 

V. Bild-, Ton- und Filmaufnahmen (§§ 48 Abs. 4 GO-E, 33 Abs. 4 KrO-E)

 

Die geplante Erlaubnis zu Bild-, Ton- und Filmaufnahmen, insbesondere zu einem sog. Live-Streaming, die auch ohne Einwilligung einzelner Gremienmitglieder zulässig sein sollen, gibt den Kommunen, die sich hierfür entscheiden, mehr Rechtssicherheit. Ob jedoch Live-Streaming mit dem Recht aller Mitglieder auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar wäre, erscheint uns fraglich.

Zumindest wäre zu überlegen, eine Ergänzung dahingehend vorzunehmen, dass Gremienmitglieder im Einzelfall das Unterbleiben der Aufnahme ihres Redebeitrags oder die Veröffentlichung einer Aufnahme verlangen können.

 

Wir geben außerdem zu bedenken, dass die Mitglieder kommunaler Vertretungen, anders als etwa die Mitglieder des Bundestages und der Länderparlamente, keine Personen des öffentlichen Lebens und in der Regel nicht medienerfahren sind. Angesichts ihrer mangelnden Erfahrung könnten sie möglicherweise gehemmt sein, sich mit Wortmeldungen in den Gremiensitzungen einzubringen, insbesondere wenn eine dauerhafte digitale Übertragung einer Sitzung erfolgt. Dies gilt umso mehr, als eine Bearbeitung, Umgestaltung oder Manipulation solcher Ton- und Filmaufnahmen zwar unzulässig, jedoch nicht völlig auszuschließen wären.

 

Unabhängig davon sehen wir mit Sorge, dass einzelne Gremienmitglieder die Übertragung im Live-Stream dazu nutzen könnten, „Schaufensterreden“ zu halten, um sich im Internet zu präsentieren. Dies dürfte der Sacharbeit in kommunalen Gremien nicht zuträglich sein.

Im Rahmen der Gesamtabwägung stehen wir der beabsichtigten Neuregelung eher kritisch gegenüber.

 

 

Verwaltungsseitig werden die Bedenken der kommunalen Spitzenverbände zur Novellierung des § 48 GO NW und den daraus resultierenden möglichen Auswirkungen auf die Sitzungskultur geteilt.

 

Finanz- und haushaltswirtschaftliche Auswirkungen :

 

Die Maßnahme hat keine finanz- und haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen.

 

 

 

Leitbild :

 

Die Maßnahme steht im Einklang mit den Zielen des Leitbildes Kapitel 6.2.

 

 

 

 

Peter Hinze

Bürgermeister