Betreff
Einführung Bürgerdialog zum Haushalt,
hier: Antrag Nr. VI/2012 der BGE-Ratsfraktion
Vorlage
02 - 15 0755/2012
Art
Verwaltungsvorlage

Beschlussvorschlag

 

Der Rat beschließt, einen „Bürgerdialog zum Haushalt“ zum jetzigen Zeitpunkt nicht einzuführen.

 

Sachdarstellung :

 

Die Rat hat den als Anlage beigefügte Antrag in seiner Sitzung am 22.05.2012 an den Rat verwiesen.

 

Gemäß Antrag der BGE-Ratsfraktion soll ein „Bürgerdialog zum Haushalt“ eingeführt werden, der über Information und Transparenz zur finanziellen Lage hinausgeht. Durch eine aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Haushaltsaufstellung sollen die eingebrachten Vorschläge zu Einsparungen und Einnahmeerhöhungen von den Bürgern auch gegenseitig diskutiert und bewertet werden und die Möglichkeit für weitere Vorschläge eingeräumt werden.

 

Die Vorschläge und Bewertungen sollen Entscheidungshilfen für den Rat sein und zur Verbesserung des Klimas zwischen „Politik“ und Bürgern führen.

 

Auch wenn in dem Antrag der BGE nicht explizit von einem „Bürgerhaushalt“ gesprochen wird, so werden doch Elemente des klassischen Bürgerhaushaltes begehrt:

 

-          Es geht um finanzielle Angelegenheiten, insbesondere um begrenzte Ressourcen.

-          Es handelt sich um ein auf Dauer angelegtes und wiederholtes Verfahren.

-          Der Prozess beruht auf einem eigenständigen Diskussionsprozess, der mittels Internet oder Versammlungen bzw. Treffen geführt wird.

-          Es erfolgt eine Auseinandersetzung des Rates mit den Vorschlägen. Die Entscheidungshoheit liegt zwar weiterhin beim Rat, aber gegenüber den Bürgern ist  Rechenschaft darüber abzulegen, inwieweit die im Verfahren geäußerten Vorschläge aufgegriffen und umgesetzt werden.

 

Grundsätzlich ist eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an städtischen Planungen zu begrüßen. Unzweifelhaft ist, dass aber bei einer Bürgerbeteiligung zum Haushalt nur ein kleiner, nicht repräsentativer Teil der Bevölkerung angesprochen wird, die Quote liegt meistens bei 1% oder sogar darunter. In größeren – und Universitätsstädten – ist die Nutzung solcher Bürgerforen größer, beim Bürgerhaushalt der Stadt Bonn haben 42 % der registrierten Nutzer einen Universitätsabschluss. Darüber ist nicht auszuschließen, dass diese Plattformen erfahrungsgemäß von Bürgern mit viel Zeit, auch einzelnen Querulanten, und gut organisierten Interessengruppen zur Platzierung ihrer Meinung genutzt werden. Abstimmungen im Internet gelten als das Gegenteil von demokratischer Bürgerbeteiligung, denn sie privilegieren einen kleinen Bevölkerungsteil auf Kosten der großen Mehrheit der Bürger. Auch wenn die abschließende Entscheidungsbefugnis beim Rat liegt, vermitteln solche Internet-Abstimmungen eine pseudo-demokratische Legitimität, deren Eigendynamik sich die Ratsmitglieder nur schwer entziehen werden können.

Die Ursprünge von Bürgerhaushalten kommen aus Brasilien. In NRW startete im Rahmen des Projekts „Kommunaler Bürgerhaushalt“ in sechs Pilotkommunen in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium NRW und der Bertelsmann Stiftung von 2000 bis 2004 das Projekt Bürgerhaushalte. Von diesen sechs Pilotkommunen verfolgen Castrop-Rauxel, Monheim am Rhein, Vlotho und Hamm nach dem „5. Statusbericht Buergerhaushalt.org“ vom März 2012 das Projekt nicht mehr weiter. Emsdetten führt zumindest in Form von Bürgerkonferenzen zum Teil auch noch Haushaltsberatungen durch. Das einzige noch laufende Bürgerhaushaltsverfahren ist das der Stadt Hilden, die aber erst 2011 auf ein Internet-Forum umgestiegen ist.

Der 5. Statusbericht der Bundeszentrale für politische Bildung weist  für die rd. 230 von rd. 12.000 Kommunen in Deutschland, die sich mit dem Projekt Bürgerhaushalt beschäftigen, folgende Veränderungen auf:

 

Status

Anzahl 2011

Anzahl 2012

Ver-änderung

Einführungsbeschluss

8

9

+   1

eingeführt (1. und 2. HH-Jahr)

55

70

+ 15

Fortführung (3. Jahr oder öfter)

10

21

+ 11

nur Bürgerinformation

21

15

-   6

Einführung noch diskutiert

107

98

-   9

abgebrochen, keine Aktivität

6

22

+ 16

 

Die Statistik zeigt, dass bereits eingeführte Bürgerhaushalte „in weitere Runden“ gehen, aber die Anzahl der Einführungsprozesse sinkt bei steigender Zahl von „Aussteigern“. Es gibt zwar immer wieder zitierte Städte mit Bürgerhaushalten, der Gesamtanteil an allen Kommunen Deutschlands liegt aber nur bei rd. 2 %.

 

Zu der Frage der Effektivität, des Ergebnisses der Beteiligung geringster - nicht repräsentativer - Einwohnerzahlen und dem zu betreibenden Aufwand, sowie die Problemstellungen, wird auf zahlreiche Stellungnahmen und Problemstellungen auch auf den Internet-Seiten www.buegerhaushalt.org der Bundeszentrale für politische Bildung verweisen.

 

Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass nach einer gewissen anfänglichen Begeisterung und Mitwirkung das Interesse der Bevölkerung nachlässt. Beispielhaft sind im Folgenden die Beteiligungszahlen und Veränderungen einiger großer – und oft zitierter – Kommunen mit Bürgerhaushalten (soweit ermittelbar):

 

 

 

 

 

 

Köln

2010

2012

 

 

www.stadt-koeln.de/1/ stadtfinanzen/buergerhaushalt/

 

 

 

 

- Vorschläge

1.254

643

-611

-49%

- registrierte Teilnehmer

10.000

7.205

-2.795

-28%

- Anteil Nutzer an Gesamt-Einw.

1,0%

0,7%

 

-30%

 

 

 

 

 

Bonn

2011/12

2013/14

 

 

www.bonn-packts-an.de

 

 

 

 

- Seitenaufrufe

2.073.807

632.537

-1.441.270

-69%

- Besucher

190.963

16.127

-174.836

-92%

- Vorschläge

217

245

+28

+13%

- registrierte Nutzer

12.739

1.766

-10.973

-86%

- Anteil Nutzer an Gesamt-Einw.

4,0 %

0,5%

 

-88%

 

 

 

 

 

Münster

2012

2013

 

 

www.buergerhaushalt-stadt-muenster.de

 

 

 

 

- Vorschläge

440

392

-48

-11%

- Beteiligte

4.000

 

 

 

- Anteil Nutzer an Gesamt-Einw.

1,4%

 

 

 

 

 

 

 

 

Hilden (ab 2011 Internet-Forum)

 

2011

 

 

www.buergerhaushalt.hilden.de

 

 

 

 

- Seitenaufrufe

 

18.686

 

 

- Empfehlungen

 

43

 

 

- registrierte Nutzer

 

195

 

 

- Anteil Nutzer an Gesamt-Einw.

 

0,3%

 

 

 

 

 

 

 

Wesel

 

 

 

 

www.buergerhaushalt-wesel.de

2010

2011

 

 

- Besucher

 

60

 

 

- registrierte  Nutzer

200

225

+25

+13%

- davon abgegebene Bewertungen

1.064

159

-905

-85%

- Anteil Nutzer an Gesamt-Einw.

0,3 %

0,4 %

 

+33%

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freiburg

2009/10

2011/12

 

 

www.freiburg.de/beteiligungshaushalt

 

 

 

 

- Seitenaufrufe

 

126.000

 

 

- Besucher

 

6.430

 

 

- Vorschläge

 

101

 

 

- registrierte Nutzer

1.861

1.155

-706

-40%

- Anteil Nutzer an Gesamt-Einw.

0,8 %

0,5 %

 

-38%

 

 

 

 

 

 

Noch im April 2012  hat die Stadt Düsseldorf die Einführung eines Bürgerhaushaltes wegen Nichterkennen eines nachhaltigen Nutzens bei hohem Personaleinsatz abgelehnt; die Stadt Krefeld hat ebenfalls im April 2012 die Einführung es Bürgerhaushaltes wegen Zweifeln an einem angemessen Verhältnis des Aufwandes zum Ergebnis zurück gestellt.

 

Diese Gründe sind nachvollziehbar. Unter Berücksichtigung der nach der NKF-Umstellung noch ausstehenden Jahresabschlusses 2010 und 2011, des Konzernabschlusses 2010 und 2011, des Finanzlageberichtes zum Herbst 2012 und bereits beginnenden Arbeiten zur Haushaltsplanaufstellung 2013 werden seitens der Verwaltung derzeit keine Kapazitäten gesehen, einen Bürgerhaushalt/Bürgerdialog zum Haushalt einzuführen und zu begleiten. Prädestiniert wäre im Übrigen dazu ein Beschluss zu den Schwerpunktsetzungen im Produktbereich im Rahmen der jeweiligen Haushaltplanbeschlüsse und nicht im Rahmen einer unterjährigen Einzelentscheidung. Darüber hinaus lässt der Antrag offen, auf welche Weise der „Bürgerdialog“ durchgeführt werden soll. Hier wäre zunächst ein Konzept und die Verfahrensschritte zu erarbeiten und einvernehmlich zu beschließen, z.B. über die Form der Partizipation, den Umgang mit den Anregungen und Hinweisen, in welcher Phase der Bildung eines neuen Haushaltes die Bürgerbeteiligung einsetzen soll, die Frage der Einführung interaktives Verfahren oder nicht, Erstellung der Plattform mit den Vorschlägen und Abstimmungs- und Kommentierungsmöglichkeiten sowie die Form der abschließenden Rechenschaftslegung über die vorgetragenen Wünsche und Anregungen.

 

Neben den verplanten und nicht vorhandenen Zeitkapazitäten sind zusätzliche Personal- und Sachaufwendungen (z.B. für Informationsmaterialien, -veranstaltungen, externe Beraterkosten) in noch nicht ermittelter Höhe unvermeidbar. Nach den Erfahrungsberichten anderer Städte geht der Einführung eines Bürgerhaushaltes im Allgemeinen eine einjährige Vorbereitungszeit voraus. Eine Bürgerbeteilung zum Haushalt „nebenbei“ wird in persönlichen Erfahrungsberichten aus Kommunen mit diesem Instrument für nicht durchführbar erklärt.

 

Auch wenn in dem Antrag der BGE-Fraktion die vermeintlich leichtere Formulierung „Bürgerdialog“ verwandt wird, ist durch die geforderte Auseinandersetzung der Bürger untereinander mit ihren Vorschlägen eine nicht zu verkennende personelle Betreuung – auch mit Einbindung der EDV - durch die Verwaltung absehbar. In den meisten Städten mit Bürgerhaushalten wurde ein „Team“ eingerichtet, oder wie die Stadt Wesel, wo der Bürgerhaushalt von der Zentralen Controllingstelle als interne Verbindungsstelle betreut wird, das eigentliche Bürgerbeteiligungsforum durch eine nach Ausschreibung beauftragte Firma durchgeführt wird. Viele weitere Städte, nachweislich auch Bonn und Hilden, bedienen sich zusätzlich externer Firmen.

 

Ein wirklich aus der gesamten Einwohnerschaft getragener Wunsch nach mehr Transparenz und konsultativer Mitwirkung zu den Finanzfragen der Stadt ist abgesehen von bisher nur einzelnen Anfragen und Anregungen, mit denen sich Verwaltung und Rat auseinander setzen, zudem bisher nicht erkennbar.

 

Auch die Durchführung von Informationsveranstaltungen zum Haushalt werden als wenig hilfreich eingeschätzt. Die Vorstellung von 62 Produkten des Haushaltsplanes in einer Veranstaltung dürfte die Aufnahmekapazität der Zuhörer sprengen. Die Resonanz bisheriger öffentlicher Bürgerbeteiligungen, sofern es nicht um den Straßenausbau vor dem eigenen Grundstück ging, zeigt außerhalb der individuell betroffenen Einwohner eher  ein geringes Interesse an den Finanzfragen der Stadt. Erst wenn grundsätzlich eine Entscheidung über die Einführung und das Verfahren einer Bürgerbeteiligung am Haushaltsplan-Aufstellungsverfahren getroffen ist, sollten Informationsveranstaltungen als Startpunkt eines nachhaltigen mehrjährigen Bürgerbeteiligungsverfahren dienen.

 

Aus den geschilderten Gründen, vornehmlich

  • fehlender Vorbereitungszeit
  • noch nicht abgeschlossener NKF-Haushalte 2010-2011 nebst Konzernbilanzen,
  • zusätzlicher Personal- und Sachaufwand in nicht angemessenem Verhältnis zum Ergebnis

spricht sich die Verwaltung derzeit gegen die Einführung eines „Bürgerdialogs zum Haushalt“ aus.

 

 

 

 

Finanz- und haushaltswirtschaftliche Auswirkungen :

 

Personal- und Sachaufwendungen für die Einführung eines Bürgerdialogs zum Haushalt sind im Haushaltsplan 2012 nicht vorgesehen.

 

 

Leitbild :

 

Die Maßnahme steht im Einklang mit den Zielen des Leitbildes Kapitel 6.2.

 

 

 

Johannes Diks

Bürgermeister