hier: Antrag Nr. VI/2012 der BGE-Ratsfraktion
Beschlussvorschlag
Der Rat beschließt, einen „Bürgerdialog zum Haushalt“ zum jetzigen
Zeitpunkt nicht einzuführen.
Sachdarstellung :
Die Rat hat den als Anlage beigefügte Antrag in seiner Sitzung am
22.05.2012 an den Rat verwiesen.
Gemäß Antrag der BGE-Ratsfraktion soll ein „Bürgerdialog zum Haushalt“
eingeführt werden, der über Information und Transparenz zur finanziellen Lage
hinausgeht. Durch eine aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der
Haushaltsaufstellung sollen die eingebrachten Vorschläge zu Einsparungen und
Einnahmeerhöhungen von den Bürgern auch gegenseitig diskutiert und bewertet
werden und die Möglichkeit für weitere Vorschläge eingeräumt werden.
Die Vorschläge und Bewertungen sollen Entscheidungshilfen für den Rat
sein und zur Verbesserung des Klimas zwischen „Politik“ und Bürgern führen.
Auch wenn in dem Antrag der BGE nicht explizit von einem
„Bürgerhaushalt“ gesprochen wird, so werden doch Elemente des klassischen
Bürgerhaushaltes begehrt:
-
Es geht um finanzielle Angelegenheiten,
insbesondere um begrenzte Ressourcen.
-
Es handelt sich um ein auf Dauer angelegtes und
wiederholtes Verfahren.
-
Der Prozess beruht auf einem eigenständigen
Diskussionsprozess, der mittels Internet oder Versammlungen bzw. Treffen
geführt wird.
-
Es erfolgt eine Auseinandersetzung des Rates mit
den Vorschlägen. Die Entscheidungshoheit liegt zwar weiterhin beim Rat, aber
gegenüber den Bürgern ist Rechenschaft
darüber abzulegen, inwieweit die im Verfahren geäußerten Vorschläge
aufgegriffen und umgesetzt werden.
Grundsätzlich ist eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an
städtischen Planungen zu begrüßen. Unzweifelhaft ist, dass aber bei einer
Bürgerbeteiligung zum Haushalt nur ein kleiner, nicht repräsentativer Teil der
Bevölkerung angesprochen wird, die Quote liegt meistens bei 1% oder sogar
darunter. In größeren – und Universitätsstädten – ist die Nutzung solcher
Bürgerforen größer, beim Bürgerhaushalt der Stadt Bonn haben 42 % der
registrierten Nutzer einen Universitätsabschluss. Darüber ist nicht
auszuschließen, dass diese Plattformen erfahrungsgemäß von Bürgern mit viel
Zeit, auch einzelnen Querulanten, und gut organisierten Interessengruppen zur
Platzierung ihrer Meinung genutzt werden. Abstimmungen im Internet gelten als
das Gegenteil von demokratischer Bürgerbeteiligung, denn sie privilegieren
einen kleinen Bevölkerungsteil auf Kosten der großen Mehrheit der Bürger. Auch
wenn die abschließende Entscheidungsbefugnis beim Rat liegt, vermitteln solche
Internet-Abstimmungen eine pseudo-demokratische Legitimität, deren Eigendynamik
sich die Ratsmitglieder nur schwer entziehen werden können.
Die Ursprünge von
Bürgerhaushalten kommen aus Brasilien. In NRW startete im Rahmen des Projekts
„Kommunaler Bürgerhaushalt“ in sechs Pilotkommunen in Zusammenarbeit mit dem
Innenministerium NRW und der Bertelsmann Stiftung von 2000 bis 2004 das Projekt
Bürgerhaushalte. Von diesen sechs Pilotkommunen verfolgen Castrop-Rauxel,
Monheim am Rhein, Vlotho und Hamm nach dem „5. Statusbericht
Buergerhaushalt.org“ vom März 2012 das Projekt nicht mehr weiter. Emsdetten
führt zumindest in Form von Bürgerkonferenzen zum Teil auch noch
Haushaltsberatungen durch. Das einzige noch laufende Bürgerhaushaltsverfahren
ist das der Stadt Hilden, die aber erst 2011 auf ein Internet-Forum umgestiegen
ist.
Der 5. Statusbericht der Bundeszentrale für politische Bildung
weist für die rd. 230 von rd. 12.000
Kommunen in Deutschland, die sich mit dem Projekt Bürgerhaushalt beschäftigen,
folgende Veränderungen auf:
Status |
Anzahl 2011 |
Anzahl 2012 |
Ver-änderung |
Einführungsbeschluss |
8 |
9 |
+ 1 |
eingeführt (1. und 2. HH-Jahr) |
55 |
70 |
+ 15 |
Fortführung (3. Jahr oder öfter) |
10 |
21 |
+ 11 |
nur Bürgerinformation |
21 |
15 |
- 6 |
Einführung noch diskutiert |
107 |
98 |
- 9 |
abgebrochen, keine Aktivität |
6 |
22 |
+ 16 |
Die Statistik zeigt, dass bereits eingeführte Bürgerhaushalte „in
weitere Runden“ gehen, aber die Anzahl der Einführungsprozesse sinkt bei
steigender Zahl von „Aussteigern“. Es gibt zwar immer wieder zitierte Städte
mit Bürgerhaushalten, der Gesamtanteil an allen Kommunen Deutschlands liegt
aber nur bei rd. 2 %.
Zu der Frage der Effektivität, des Ergebnisses der Beteiligung
geringster - nicht repräsentativer - Einwohnerzahlen und dem zu betreibenden
Aufwand, sowie die Problemstellungen, wird auf zahlreiche Stellungnahmen und
Problemstellungen auch auf den Internet-Seiten www.buegerhaushalt.org der
Bundeszentrale für politische Bildung verweisen.
Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass nach einer gewissen anfänglichen
Begeisterung und Mitwirkung das Interesse der Bevölkerung nachlässt.
Beispielhaft sind im Folgenden die Beteiligungszahlen und Veränderungen einiger
großer – und oft zitierter – Kommunen mit Bürgerhaushalten (soweit
ermittelbar):
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Köln |
2010 |
2012 |
|
|
www.stadt-koeln.de/1/
stadtfinanzen/buergerhaushalt/ |
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|
|
|
- Vorschläge |
1.254 |
643 |
-611 |
-49% |
- registrierte Teilnehmer |
10.000 |
7.205 |
-2.795 |
-28% |
- Anteil Nutzer an Gesamt-Einw. |
1,0% |
0,7% |
|
-30% |
|
|
|
|
|
Bonn |
2011/12 |
2013/14 |
|
|
www.bonn-packts-an.de |
|
|
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|
- Seitenaufrufe |
2.073.807 |
632.537 |
-1.441.270 |
-69% |
- Besucher |
190.963 |
16.127 |
-174.836 |
-92% |
- Vorschläge |
217 |
245 |
+28 |
+13% |
- registrierte Nutzer |
12.739 |
1.766 |
-10.973 |
-86% |
- Anteil Nutzer an Gesamt-Einw. |
4,0 % |
0,5% |
|
-88% |
|
|
|
|
|
Münster |
2012 |
2013 |
|
|
www.buergerhaushalt-stadt-muenster.de |
|
|
|
|
- Vorschläge |
440 |
392 |
-48 |
-11% |
- Beteiligte |
4.000 |
|
|
|
- Anteil Nutzer an Gesamt-Einw. |
1,4% |
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|
Hilden (ab 2011 Internet-Forum) |
|
2011 |
|
|
www.buergerhaushalt.hilden.de |
|
|
|
|
- Seitenaufrufe |
|
18.686 |
|
|
- Empfehlungen |
|
43 |
|
|
- registrierte Nutzer |
|
195 |
|
|
- Anteil Nutzer an Gesamt-Einw. |
|
0,3% |
|
|
|
|
|
|
|
Wesel |
|
|
|
|
www.buergerhaushalt-wesel.de |
2010 |
2011 |
|
|
- Besucher |
|
60 |
|
|
- registrierte Nutzer |
200 |
225 |
+25 |
+13% |
- davon abgegebene Bewertungen |
1.064 |
159 |
-905 |
-85% |
- Anteil Nutzer an Gesamt-Einw. |
0,3 % |
0,4 % |
|
+33% |
|
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|
Freiburg |
2009/10 |
2011/12 |
|
|
www.freiburg.de/beteiligungshaushalt |
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|
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|
- Seitenaufrufe |
|
126.000 |
|
|
- Besucher |
|
6.430 |
|
|
- Vorschläge |
|
101 |
|
|
- registrierte Nutzer |
1.861 |
1.155 |
-706 |
-40% |
- Anteil Nutzer an Gesamt-Einw. |
0,8 % |
0,5 % |
|
-38% |
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Noch im April 2012 hat die Stadt
Düsseldorf die Einführung eines Bürgerhaushaltes wegen Nichterkennen eines
nachhaltigen Nutzens bei hohem Personaleinsatz abgelehnt; die Stadt Krefeld hat
ebenfalls im April 2012 die Einführung es Bürgerhaushaltes wegen Zweifeln an
einem angemessen Verhältnis des Aufwandes zum Ergebnis zurück gestellt.
Diese Gründe sind nachvollziehbar. Unter Berücksichtigung der nach der
NKF-Umstellung noch ausstehenden Jahresabschlusses 2010 und 2011, des
Konzernabschlusses 2010 und 2011, des Finanzlageberichtes zum Herbst 2012 und
bereits beginnenden Arbeiten zur Haushaltsplanaufstellung 2013 werden seitens
der Verwaltung derzeit keine Kapazitäten gesehen, einen
Bürgerhaushalt/Bürgerdialog zum Haushalt einzuführen und zu begleiten.
Prädestiniert wäre im Übrigen dazu ein Beschluss zu den Schwerpunktsetzungen im
Produktbereich im Rahmen der jeweiligen Haushaltplanbeschlüsse und nicht im
Rahmen einer unterjährigen Einzelentscheidung. Darüber hinaus lässt der Antrag
offen, auf welche Weise der „Bürgerdialog“ durchgeführt werden soll. Hier wäre
zunächst ein Konzept und die Verfahrensschritte zu erarbeiten und
einvernehmlich zu beschließen, z.B. über die Form der Partizipation, den Umgang
mit den Anregungen und Hinweisen, in welcher Phase der Bildung eines neuen
Haushaltes die Bürgerbeteiligung einsetzen soll, die Frage der Einführung
interaktives Verfahren oder nicht, Erstellung der Plattform mit den Vorschlägen
und Abstimmungs- und Kommentierungsmöglichkeiten sowie die Form der
abschließenden Rechenschaftslegung über die vorgetragenen Wünsche und
Anregungen.
Neben den verplanten und nicht vorhandenen Zeitkapazitäten sind
zusätzliche Personal- und Sachaufwendungen (z.B. für Informationsmaterialien,
-veranstaltungen, externe Beraterkosten) in noch nicht ermittelter Höhe
unvermeidbar. Nach den Erfahrungsberichten anderer Städte geht der Einführung
eines Bürgerhaushaltes im Allgemeinen eine einjährige Vorbereitungszeit voraus.
Eine Bürgerbeteilung zum Haushalt „nebenbei“ wird in persönlichen
Erfahrungsberichten aus Kommunen mit diesem Instrument für nicht durchführbar
erklärt.
Auch wenn in dem Antrag der BGE-Fraktion die vermeintlich leichtere
Formulierung „Bürgerdialog“ verwandt wird, ist durch die geforderte
Auseinandersetzung der Bürger untereinander mit ihren Vorschlägen eine nicht zu
verkennende personelle Betreuung – auch mit Einbindung der EDV - durch die
Verwaltung absehbar. In den meisten Städten mit Bürgerhaushalten wurde ein
„Team“ eingerichtet, oder wie die Stadt Wesel, wo der Bürgerhaushalt von der
Zentralen Controllingstelle als interne Verbindungsstelle betreut wird, das
eigentliche Bürgerbeteiligungsforum durch eine nach Ausschreibung beauftragte
Firma durchgeführt wird. Viele weitere Städte, nachweislich auch Bonn und
Hilden, bedienen sich zusätzlich externer Firmen.
Ein wirklich aus der gesamten Einwohnerschaft getragener Wunsch nach
mehr Transparenz und konsultativer Mitwirkung zu den Finanzfragen der Stadt ist
abgesehen von bisher nur einzelnen Anfragen und Anregungen, mit denen sich
Verwaltung und Rat auseinander setzen, zudem bisher nicht erkennbar.
Auch die Durchführung von Informationsveranstaltungen zum Haushalt
werden als wenig hilfreich eingeschätzt. Die Vorstellung von 62 Produkten des
Haushaltsplanes in einer Veranstaltung dürfte die Aufnahmekapazität der Zuhörer
sprengen. Die Resonanz bisheriger öffentlicher Bürgerbeteiligungen, sofern es
nicht um den Straßenausbau vor dem eigenen Grundstück ging, zeigt außerhalb der
individuell betroffenen Einwohner eher
ein geringes Interesse an den Finanzfragen der Stadt. Erst wenn
grundsätzlich eine Entscheidung über die Einführung und das Verfahren
einer Bürgerbeteiligung am Haushaltsplan-Aufstellungsverfahren getroffen ist,
sollten Informationsveranstaltungen als Startpunkt eines nachhaltigen
mehrjährigen Bürgerbeteiligungsverfahren dienen.
Aus den geschilderten Gründen, vornehmlich
- fehlender
Vorbereitungszeit
- noch nicht
abgeschlossener NKF-Haushalte 2010-2011 nebst Konzernbilanzen,
- zusätzlicher
Personal- und Sachaufwand in nicht angemessenem Verhältnis zum Ergebnis
spricht sich die Verwaltung derzeit gegen die Einführung eines
„Bürgerdialogs zum Haushalt“ aus.
Finanz- und haushaltswirtschaftliche Auswirkungen :
Personal-
und Sachaufwendungen für die Einführung eines Bürgerdialogs zum Haushalt sind
im Haushaltsplan 2012 nicht vorgesehen.
Leitbild :
Die Maßnahme steht im
Einklang mit den Zielen des Leitbildes Kapitel 6.2.
Johannes Diks
Bürgermeister