Beschlussvorschlag
Der Rat beschließt, die Anregungen der
„Piratenpartei Deutschland – Kreisverband Kleve“ nicht umzusetzen.
Stellungnahme der Verwaltung :
Mit Schreiben vom 17. März 2013 regt die
Piratenpartei Deutschland Kreisverband Kleve Audiovisuelle Aufzeichnung und
Bereitstellung von Rats- und Ausschusssitzungen an, um das öffentliche
Interesse der Bürgerinnen und Bürger an kommunaler Politik zu erhöhen. Hierbei
wird neben der direkten Übertragung auch die Aufzeichnung dieser Sitzungen
vorgeschlagen. Diese Aufzeichnungen sollten zeitversetzt ins Internet eingestellt
werden.
Die Gremien vor Ort haben sich innerhalb der
letzten Monate bereits aufgrund des Antrages der BGE vom 18.07.2012 (zur
Beratung und Beschlussfassung in der Sitzung des Rates am 02.10.2012
vorgesehen) und dem ergänzten Antrag vom 11.01.2013 (Beratung /
Beschlussfassung HFA am 05.02.2013 und Rat am 19.02.2013) mit der Thematik
befasst.
Die Verwaltung hat im Zusammenhang mit der
Anregung „Einführung von EM-TV“ die zur Entscheidungsfindung maßgeblichen
Aspekte intensiv wie folgt geprüft :
„1.Rechtliche
Würdigung
Zu beantworten ist
zunächst die Frage, ob die Übertragung der Sitzungen den Rates und seiner
Ausschüsse mit den geltenden Rechtsnormen, insbesondere den Bestimmungen des
Datenschutzrechtes und des kommunalen Verfassungsrechtes, vereinbart werden
kann.
Der Minister für
Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen hat hierzu aktuell am 16.
Juli 2012 im Rahmen der Beantwortung der Kleinen Anfrage (Anfrage 27 vom 12.
Juni 2012 verschiedener Abgeordneter der FPD „Kommunalpolitik „live“ im Netz
–Mehr Transparenz in Kreistag und Rat ?) namens der Landesregierung im
Einvernehmen mit der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien
folgende Aussage gemacht:
„Eine
Live-Übertragung von Sitzungen kommunaler Vertretungskörperschaften stellt aus
datenschutzrechtlicher Sicht die (weltweite) Übermittlung personenbezogener
Daten an eine Vielzahl unbestimmter Personen dar. Eine solche Datenerhebung und
–übermittlung ist gem. § 4 Abs. 1 des Landesdatenschutzgesetzes nur zulässig,
wenn das Landesdatenschutz-gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift sie erlaubt
oder die betroffenen Personen eingewilligt haben. Die entsprechenden Regelungen
des Landesdatenschutzgesetzes (§§ 16, 17 DSG NRW) enthalten keine ausreichende
Rechtsgrundlage für die Live-Übertragung im Internet. Ebenso wenig ist die
Übertragung der Sitzungen der Vertretungskörperschaften im Internet in den
kommunalrechtlichen Vorschriften geregelt. Lediglich die Zulassung der
sogenannten „Saalöffentlichkeit“ zu den Sitzungen ist dort normiert, aber nicht
die weitergehende „Medienöffentlichkeit“.
Daher ist nach
derzeitiger Rechtslage die Live-Übertragung der Sitzungen der Vertretungskörperschaften
nur zulässig, wenn die Mitglieder der Vertretungskörperschaft dieser
Übertragung zugestimmt haben. Da eine Live-Übertragung der Sitzung der
Vertretungskörperschaft auch weitere anwesende Personen (Beschäftigte der
Kommunen, sachkundige Bürgerinnen und Bürger, Zuschauer) betreffen kann, ist
auch deren Einwilligung zur Übertragung erforderlich. Darüber hinaus ist es
erforderlich, dass die Persönlichkeitsrechte der Personen, die der Übertragung
nicht zugestimmt haben, gewahrt bleiben. Das Nähere kann in der
Geschäftsordnung der Vertretungskörperschaft geregelt werden.“
Insbesondere kann
die Einwilligung nicht automatisch bei nicht erfolgtem Widerspruch unterstellt
werden. Vielmehr muss jeder Sitzungsteilnehmer vor Sitzungsbeginn seine
Einwilligung erklären. Falls ein Betroffener seine Einwilligung verweigert oder
sie im Verlauf der Sitzung widerruft, ist sicherzustellen, dass die Übertragung
bei dessen Redebeiträgen abgeschaltet wird.
Darüber hinaus
gilt es, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Hierzu äußert sich
der Landesdatenschutzbeauftragte wie folgt :
„Hinsichtlich der
Art und Weise der Übertragung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu
berücksichtigen. Eine Aufnahme der Sitzung darf nur so weit gehen, wie es zur
Informations-übermittlung erforderlich ist. So könnten im Einzelfall
Nahaufnahmen aus jeglicher Pers-pektive als nicht erforderlich angesehen werden
oder eine Aufnahme auf das Rednerpult beschränkt werden. Auf diese Weise würde
auch gewährleistet, dass es zu keiner Beeinträchtigung des
Persönlichkeitsrechtes der zuschauenden Bürger kommt. Das ist aber je nach
Ausgestaltung einer Einzelfallwürdigung vorbehalten.“
Die aus dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergehende Notwendigkeit einer personellen
Regieleistung stellt eine weitere Hürde dar.
Zusammenfassend
bleibt festzustellen, dass die Übertragung von Rats- und Ausschuss-sitzungen
mittels eines Live-Streams unter Beachtung der datenschutzrechtlichen
Bestimmungen und Schaffung der kommunalverfassungsrechtlichen Grundlagen (hier
: Anpassung der Geschäftsordnung der Stadt Emmerich am Rhein für den Rat und
seine Ausschüsse) zulässig wäre.
2.
Auswirkungen auf die Sitzungskultur
Bei der
Entscheidung, ob Live-Übertragungen zukünftig durchgeführt werden sollen, sind
auch mögliche Auswirkungen auf die Sitzungskultur zu bedenken. Die Tatsache,
dass die einzelne Sitzung live mitverfolgt werden kann, könnte Einfluss auf die
Wortbeiträge haben. Vorstellbar ist zum einen, dass medienwirksame Polemik die
gebotene Sachlichkeit im Diskussionsverlauf verdrängt. Andererseits könnte die
Übertragung ins Internet auch für Einzelne ein Hemmnis darstellen, die ihre
Redebeiträge aus diesem Grund nicht einbringen.
Dies gilt
insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass eine missbräuchliche oder verfremdete
Verwendung der Live-Übertragung nicht ausgeschlossen werden kann. Auch wenn die
Ausstrahlung nur als sog. Live-Stream erfolgt und die einzelne Sitzung nicht
gespeichert wird, muss sich der Rat bei seiner Entscheidung über die Einführung
dieser Technik darüber bewusst sein, dass dieser Live-Stream am heimischen PC
aufgezeichnet und ggf. auch aufbereitet werden kann. Es wäre also durchaus
vorstellbar, dass Szenen aus den Sitzungen des Rates und seiner Ausschüsse auf
entsprechenden Portalen (z.B. Youtube) dauerhaft abrufbar sein werden.
3.
Kosten
Bei der Ermittlung
der Höhe der Finanzmittel, die für die Live-Übertragung der Rats- und
Ausschusssitzungen jährlich aufzubringen sind, gilt es sowohl die Kosten der
Technik (Hard- und Software) als auch die Personalkosten zu berücksichtigen.
Die Kosten der
Technik stehen wiederum in Abhängigkeit zum gewünschten Standard (Anzahl der
einzusetzenden Kameras, Qualität der Aufzeichnung; textl. Aufbereitung der
übertragenen Daten etc.). Die nachfolgende Kostenübersicht orientiert sich in
Bezug auf die für die Hard- und Software aufzubringenden Mittel an der dem
Antrag der BGE-Fraktion beiliegenden technischen und finanziellen Ablaufstudie.
Diese sind im
Wesentlichen vergleichbar mit den Kosten, die andere Kommunen ihren
Berechnungen zugrunde gelegt haben und können daher als marktgerecht
qualifiziert werden.
Keine
Berücksichtigung in genannter Ablaufstudie finden aber die personellen
Aufwen-dungen, die bei Einführung dieses Services dauerhaft anfallen würden und
daher auch Bestandteil dieser Prüfung sein müssen.
In jedem Fall muss
geschultes Personal zur Bedienung des Mischpultes in jeder zu übertragenden
Sitzung zum Einsatz kommen (Berechnung Variante 1). Aufwändiger und
personalintensiver, aber für eine den Internetnutzer ansprechende Übertragung
vermutlich notwendig, wäre es, auch zwei Personen für die Bedienung der Kameras
(Berechnung Variante 2) vorzusehen.
Da entsprechendes
Personal vor Ort nicht zur Verfügung steht, müsste auf entsprechende
Honorarkräfte zurückgegriffen werden. In der Berechnung wird hier jeweils ein
Stundensatz von 15 Euro zugrunde gelegt. Die Sitzungsdaten des Jahres 2011
bilden die Datenbasis für die Anzahl sowie die durchschnittliche Dauer der
Sitzungen.
Bei der Ermittlung
der für den Personalaufwand aufzuwendenden Mittel gilt ebenso wie für den zu
favorisierenden technischen Standard, dass eine exakte Bestimmung dieser Größen
erst nach präziser Definition der Leistungsanforderungen erfolgen kann.
Technik
Hard- und
Softwarekosten 30.000
Euro einmalig
(Basis :
technische u. finanzielle Ablaufstudie Antrag
BGE-Fraktion)
Personal
:
Variante 1 (Bedienung des Mischpultes, keine Kameraführung)
1 Honorarkraft a
15 Euro/Std.
durchschnittliche
Dauer pro Sitzung 1,5 Std.
1 Stunde Vor- und
Nachbereitung
Anzahl Sitzungen =
35
35 x 2,5 x 15 = 1.312,50
Euro
Variante 2 (Bedienung des Mischpultes und zweier Kameras)
3 Honorarkräfte a
15 Euro/Std
1 Stunde Vor- und
Nachbereitung pro Sitzung durch 1 Honorarkraft
35x1,5x45 = 2.362,50
Euro
35x 1 x15 = 525,00 Euro
2.887,50
Euro
Ermittlung
der jährlichen Kosten bei Einführung von EM-TV :
Variante 1 :
Abschreibung (5
Jahre) Technik 6.000,00 Euro
Personalkosten 1.312,50
Euro
jährliche Kosten 7.312,50 Euro
Variante 2 :
Abschreibung (5
Jahre) Technik 6.000,00 Euro
Personalkosten 2.887,50
Euro
jährliche Kosten 8.887,50 Euro
Aus
Vereinfachungsgründen wurde ein kalkulatorischer Zinssatz für das
durchschnittlich gebundene Kapital in die Berechnung nicht aufgenommen.
Ebenfalls noch
unberücksichtigt sind die für eine entsprechend leistungsfähige
Internetverbindung aufzubringenden Mittel.
4.
Erfahrungen anderer Kommunen
Eine komplette
Übersicht der Kommunen in NRW, die die Möglichkeit der Live-Übertragungen
derzeit nutzen, liegt nicht vor.
Bekannt ist, dass
die Stadt Bonn (328.000 Einwohner) seit Ende 2009 ihre öffentlichen
Ratssitzungen ins Internet überträgt. Begonnen wurde mit einer Standkamera; die
Technik wurde inzwischen, auch mit der Intention, die Übertragung für die
Nutzer interessanter zu gestalten, weiter ausgebaut. Die Stadt Bonn verfügt
inzwischen über einen Pool in Kamera- und Übertragungstechnik geschulter
Mitarbeiter, aus dem das für die jeweilige Übertragung benötigte Personal
rekrutiert werden kann.
Für die erste
Sitzung im Oktober haben sich 582 unterschiedliche Besucher interessiert.
In den darauf
folgenden Jahren wurden jeweils 10 öffentliche Sitzungen des Rates live
übertragen. Die durchschnittliche Anzahl unterschiedlicher Besucher im Jahr
2010 betrug 423 (die Spanne lag hier von max. 721 bis min.182); im Jahr 2011
interessierten sich durchschnittlich 287 (Spanne von max. 605 bis min.64) Personen für den Live-Stream.
In den Medien zu
verfolgen war in den letzten Monaten, dass auch in Nordrhein-Westfalen diverse
Kommunen eine Prüfung der Einführung von Live-Übertragung ihrer Sitzungen
vorgenommen haben. Häufig wird allein unter Hinweis auf die dauerhaft
anfallenden Kosten von der Umsetzung abgesehen.
Die
Landesregierung weist in der bereits unter 1. zitierten Antwort auf die Kleine
Anfrage 27 darauf hin, dass „die Entscheidung für oder gegen eine
Live-Übertragung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung bzw. als höchstpersönliche
Entscheidung der Mitglieder der Vertretungskörperschaften getroffen wird. Die
Sinnhaftigkeit dieser Entscheidungen wird von der Landesregierung nicht
bewertet.“
5.Fazit
Nach Prüfung der
relevanten Aspekte empfiehlt die Verwaltung, die Einführung von nicht
umzusetzen, da der Aufwand und auch die zu erwartenden bzw. nicht
auszuschließenden negativen Begleitumstände in keiner vertretbaren Relation zum
zu erwartenden Nutzen stehen.
Die politischen Entscheidungsträger haben
sich mehrheitlich dieser Auffassung angeschlossen und die Einführung der
Übertragung von Sitzungen des Rates und seiner Ausschüsse ins Internet
abgelehnt.
Der Antrag der Piratenpartei Deutschland
Kreisverband Kleve geht insofern über den vorgenannten Antrag der BGE-Fraktion
hinaus, als dass zusätzlich zu der direkten Übertragung der Sitzungen des Rates
und seiner Ausschüsse Aufzeichnungen zum zeitversetzten Ansehen bereit gestellt
werden sollen.
Dadurch kommt den unter „2. Auswirkungen auf die Sitzungskultur“
gemachten Ausführungen ein noch höherer Stellenwert zu. Durch die
Bereitstellung der Aufzeichnungen im Internet anstelle der Ausstrahlung als
sog. Live-Stream steigt zum einen die Gefahr einer nachträglichen Manipulation
des Materials. Unabhängig davon müssen sich Mandatsträger und alle weiteren an
den Sitzungen des Rates und seiner Ausschüsse Beteiligten (Bürger bei
Formulierung von Anfragen der Einwohnerfragestunde, Mitarbeiter der Verwaltung
im Rahmen der Erläuterung von Beschlussvorlagen) vor etwaigen Wortbeiträgen
darüber bewusst sein, dass jeder Versprecher oder etwaige Unsicherheit in Wort-
und Bild dauerhaft festgehalten und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich
gemacht werden kann.
Auch erfordert die Aufbereitung des
Datenmaterials zur dauerhaften Bereitstellung ins Internet einen erhöhten
personellen Aufwand, der die Summe der benötigten Finanzmittel (siehe Punkt „3.
Kosten“ ) noch erhöhen würde.
Verwaltungsseitig wird daher empfohlen, die Anregungen der „Piratenpartei
Deutschland – Kreisverband Kleve“ nicht umzusetzen.
Sachverhalt :
Sh. Anlage
Finanz- und haushaltswirtschaftliche Auswirkungen :
Die Maßnahme hat keine
finanz- und haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen.
.
Leitbild :
Die Maßnahme steht im
Einklang mit den Zielen des Leitbildes Kapitel 6.2.
In Vertretung
Dr. Stefan Wachs
Erster Beigeordneter