Betreff
Schaffung von kommunalen Lebensraumstrukturen sowie Nisthabitaten für Insekten
Vorlage
05 - 16 1862/2019
Art
Verwaltungsvorlage

Beschlussvorschlag

 

Der Ausschuss nimmt die Ausführungen der Verwaltung zur Kenntnis und beauftragt sie, das Konzept in der vorgeschlagene Vorgehensweise zu erarbeiten und dem Ausschuss für Stadtentwicklung im Herbst 2019 vorzustellen.

 

 

Sachdarstellung :

 

Während in der Sitzung des ASE am 13.03.2018 der Themenpunkt ‚Einsatz von Glyphosat‘ abschließend beraten wurde, erhielt die Verwaltung den Auftrag, zu prüfen, inwieweit die Pflege städtischer Grünflächen und die Wahl bestimmter Saatgut-mischungen besser auf die Bedürfnisse der Insekten angepasst werden könnten.

Die aktuelle Vorlage berichtet über die Erfahrungen des letzten Jahres und skizziert ein Handlungskonzept, das ausgearbeitet werden sollte, um zukünftig in verschiedenen kommunalen Handlungsfeldern für ein insektenfreundlicheres Vorgehen zu sorgen.

 

 

Erfahrungsbericht 2018

 

Am 22. März 2018 kündigten die Kommunalbetriebe Emmerich (KBE) in der Sitzung des Betriebsausschusses an, die Anlage von Blumenwiesen im Emmericher Stadtgebiet auszuweiten. Dabei orientierten sie sich u.a. an den Erfahrungen aus 2017 mit Saatgut-mischungen auf Blühflächen am Blackweg (siehe Abb. 1). In der Folge wurden über das gesamte Stadtgebiet verteilt Flächen ausgewählt:

 

·         Borgheeser Weg / Ecke Hekerenfelder Weg,

·         Ostwall, Höhe Altenzentrum,

·         Dreikönige Hauptstraße,

·         Alter Friedhof in Elten,

·         Friedhof in Emmerich,

·         Rudolf - W.- Stahr- Straße im Baugebiet Hubert-Fink-Straße

 

Die Aussaat dieser Flächen erfolgte Ende April 2018.  Entgegen der Erwartungen kamen nicht alle Flächen zur Blüte, da in den Folgemonaten bis in den späten Herbst eine für hiesige Verhältnisse ungewöhnliche Trockenheit vorherrschte, in der sich viele Flächen wenig bis gar nicht entwickelten. Lediglich die Flächen im Stadtgebiet, die regelmäßig bzw. in Abständen gewässert werden konnten, entwickelten sich positiv. Das zeigen Aufnahmen aus der Grünanlage an der Rudolf-W-Stahr-Straße, aus dem Rheinpark wie auch von der öffentlichen Fläche an der Dederichstraße gegenüber den Stadtwerken (siehe Abb. 2 – 4).

In der bereits 2017 angelegten Blumenwiese am Blackweg setzten sich 2018 mehr und mehr die Wildkräuter durch und drängten die eingesäten Kulturpflanzen zurück (siehe Abb. 5 + 6). Für die Insekten war dieser Wandel nicht von Nachteil, da ihnen die nachfolgenden Brennnesseln, Disteln und andere Wildkräuter genauso gut als Nahrungsquelle dienen. Eine ähnliche Entwicklung nahm die vor Jahren eingesäte Blumenwiese auf dem Kreisel an der Schleuse / Stadtweide. Hier bildete die Kuppmargerite in den Folgejahren einen flächen-deckenden Bestand. Absichtlich wurden die Margeriten nach der Blüte, - wie auch Wild-kräuter andernorts -, nicht abgemäht sondern stehen gelassen. Das dient der Selbstaussaat im nächsten Jahr. Insekten nehmen solche abgeblühten Bestände gern als Habitat und Lebensraum an.

Das Auge des nicht fachkundigen Betrachters nimmt diesen Zustand als Verwahrlosung einer ehemals geordneten Blumenwiese wahr, ohne den Mehrwert für die Insekten dabei zu erkennen. Eine ähnliche Optik bietet die an der K16 bei der Fa. Swertz angelegte Wildblumenwiese. Dieser Bestand wurde nach der Blühphase im Juli 2018 teilweise abgemäht, ein zentraler Teil wurde aus den genannten Gründen stehen gelassen. Nachwachsende Wildkräuter stellten sich jedoch aufgrund der anhaltenden Trockenheit nicht mehr ein (siehe Abb. 7).

Im Verkehrsraum haben die KBE die Wegeränder in den Außenbereichen bewusst  bis Anfang Juli stehen gelassen, bzw. in den Kreuzungsbereichen mit Blick auf die Verkehrssicherheit jedoch nur sparsam gemäht. Das Gleiche gilt für den ehemaligen Eintrachtsportplatz an der s’Heerenberger Straße. Anstatt wie üblich die Fläche 3-4 mal im Jahr zu mähen, wurde 2018 darauf verzichtet und im Spätherbst die Fläche nur gemulcht. Hier konnte sich für Insekten und Schmetterlinge ein Biotop aus Gräsern und Brennnesseln entwickeln.

Im Bereich der Friedhöfe wurde 2018 zum ersten Mal vollständig auf den Einsatz von Herbiziden verzichtet. Ein Abflämmen der Wildkräuter war wegen der hohen Brandgefahr nur bedingt möglich. Diese Vorgehensweise führte bei den Bürgern verstärkt zu Beschwerden, da sie bisher ja einen gepflegten Friedhof gewöhnt waren.

Hier wird eine grundlegende Überzeugung ersichtlich, die, - wenn wir unser Umfeld naturbewusster und insektenfreundlicher gestalten wollen -, ein Umdenken erfordert. Man kann nicht einerseits Blumenwiesen und Wildkräutern, die stark aussamen, den Vorrang geben, andererseits aber perfekt gepflegte und ‚saubere‘ Rabatten haben wollen.

Als weitere Erkenntnis aus dem Jahr kann festgehalten werden, dass für die Aufstellung eines Konzeptes sowie seine Umsetzung im Stadtgebiet grundsätzlich ein Mehr an Ressourcen bereitgestellt werden sollte.

 

Zur besseren Standortbestimmung haben sich Mitarbeiter des Fachbereichs 5 und  der KBE mit diesbezüglich, verantwortlichen Kollegen anderer Stadtverwaltungen getroffen um ihre Erfahrungen auszutauschen. Beteiligt waren die Städte Bedburg-Hau, die Stadt Weeze und die Stadt Wesel, die alle drei für ihr Engagement im Insektenschutz in Fachkreisen bekannt sind. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass auch hier die Kommunen mit den gleichen Problemen wie Trockenheit, Wildkrautbewuchs, Totalausfällen und Wildverbiss zu kämpfen haben. Besonders überzeugend war das Beispiel der Stadt Weeze und ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Um bei Ihren Bürgern für mehr Toleranz für innerstädtischen Spontanbewuchs bzw. Wildkräuterflächen zu werben, macht sie ihre Flächen mit Infotafeln kenntlich, die dem Mitbürger den anscheinenden ‚Wildwuchs‘ erklären und ihm die Wirkungszusammenhänge zwischen Tier- und Pflanzenwelt erläutern (siehe Abb. 8 + 9).

 

Konzeptionelle Überlegungen für ein ‚insektenfreundliches Emmerich‘

In Anbetracht des letztjährigen Witterungsverlaufs waren manche der Bemühungen der Stadt Emmerich am Rhein zum Scheitern verurteilt. Um für die kommenden Jahre, - einmal abgesehen von der jeweiligen Wetterlage -, besser aufgestellt zu sein, sucht die Stadtverwaltung die Zusammenarbeit mit Fachinstitutionen, um dem Insektensterben ganzheitlicher entgegenzuwirken.

Da zwischen der Stadt Emmerich am Rhein und dem Naturschutzzentrum im Kreis Kleve (NZ) eine Kooperationsvereinbarung besteht, kann die Stadt im Rahmen ihres Kooperations-beitrages auch auf Dienstleistungen des NZ‘s zurückgreifen. Gemeinsam will man in 2019 für die Folgejahre ein Handlungskonzept ‚insektenfreundliches Emmerich‘ entwickeln‘, welches Vorschläge zum Bereich der kommunalen Grünflächen erstellt, Möglichkeiten der Anwendungen in den städtischen Gewerbegebieten aufzeigt, die Chancen zur Etablierung von Blühstreifen auf  landwirtschaftlich verpachteten Flächen auslotet und nicht zuletzt Ratschläge für die Anlage von Bienenweiden und eine entsprechende Pflanzenwahl in Privatgärten bereithält.

Ausgehend von dem wissenschaftlich belegten Rückgang der Insekten soll hier ein Hand-lungskonzept entstehen, in dem die Stadt quasi selbstverpflichtend vorangeht, so zur Teilnahme motiviert, die Bürger und Betriebe auf der Basis freiwilliger Kooperation mit einbezieht und die gemeinsamen Aktivitäten koordiniert.

Die nachfolgend stichpunktartig umrissenen Inhalte sollen eine Vorstellung davon vermitteln, welche Tätigkeitsfelder mit welchen Schwerpunkten Bestandteil des Konzeptes sein können.  Unterschieden wird nach 4 Teilbereichen, in denen sich die Stadt engagieren kann/sollte:

·         Kommunale Grünflächen,

·         Privatgärten,

·         Landwirtschaftliche Flächen,

·         Gewerbegebiete.

 

 

 

 

  1. Kommunale Grünflächen

(Wege- und Straßenränder, Friedhöfe, Parks, andere Freizeitflächen wie Sportan-lagen, Kita- und Schulgelände und sonstige kommunale Grünflächen)

Zunächst muss nach einem inventarisierenden Überblick über die vorhandenen Flächen ein Pflegekonzept entwickelt werden, welches die bislang meist vorherrschende gleich getaktete Pflege zeitlich differenziert und je nach Fläche alternierend eine zeitlich versetzte Mahd oder eine andere Pflegemaßnahme vorsieht. So können Kräuter in den Rasenflächen tatsächlich Blüten entwickeln, denn das Samenpotential im Boden ist dafür oftmals vorhanden. In randlichen oder abgelegenen Bereiche kann die Pflege mitunter unterbleiben, denn in den höheren Strukturen können Insekten auch den Winter überdauern. Auch in zentralen öffentlichen Grünlandflächen können Schonstreifen bis in den Herbst stehen bleiben, wenn dies mit der Erholungsnutzung der Flächen z.B. in Parks vereinbar ist. Sie sind ein essentieller Rückzugsraum für Insekten und andere Kleinstlebewesen. Bei der Anlage von Blühstreifen ist die Wahl heimischen Regiosaatgutes, die  Vorbereitung des Saatbettes, aber auch die Art der Pflege mitentscheidend.

Des Weiteren ist es von Bedeutung, dem Bürger dieses Handeln zu vermitteln, sei es durch Flyer, Beilagen in der Tages- oder Wochenzeitung oder durch eine schon erwähnte Beschilderung direkt an den Flächen. Schließlich muss man beim Bürger dafür um Verständnis werben, dass die Pflanzen nach der attraktiven Blütezeit noch bis zum Aussamen stehen bleiben, auch wenn sie vorübergehend keinen besonders ordentlich Eindruck machen. Nur wenn die genannten Maßnahmen umgesetzt werden, macht z. B. die begleitende Anschaffung von Bienenhotels Sinn.

Städtische Ausgleichs- und Ersatzflächen bieten auch die Möglichkeit, sich für Artenschutzmaßnahmen wie die Verbesserung des Blütenangebots einzusetzen, vorausgesetzt, man entwickelt flächenspezifische Lösungen die von dem Bewirtschafter mitgetragen werden.

 

      B   Privatgärten

Angesichts der rapide wachsenden Beliebtheit von Steingärten gilt es zunächst wieder, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Wirkung auch die wenigen qm im eigenen Garten auf das Angebot von Nahrung und Lebensraum für Insekten haben können. Sofern man nicht Hinweise auf bereits bestehende Informationsmaterialien gibt, können alternativ Stadt und NZ gemeinsam eine Bürgerbroschüre erstellen, die auf Gartenpflanzen mit besonderem Nutzen für Insekten, deren Pflanzung und Pflege abhebt. Unterstützend wäre hier eine Zusammenarbeit mit den Gärtnereien in der Region, damit sie angeregt werden diese Pflanzen auch dem Bürger anzubieten. Auch hier ist das Vorhandensein blühender Stauden und Sträucher über den ganzen Sommer Voraussetzung für die Sinnhaftigkeit von Nisthilfen. Bei Bedarf können Anleitungen zum Bau von Nisthilfen oder ggfs. Weiterbildungsangebotes z. B. bei der VHS zur Verfügung gestellt werden.

 

     C    Landwirtschaftliche Flächen

Bei landwirtschaftlichen Pachtflächen im Eigentum der Stadt kann die Stadt bei neu abzuschließenden oder zu verlängernden Pachtverträgen die Einhaltung von Schon- und Saumstreifen festlegen. Für solche Blühstreifen auf Ackerflächen im kommunalen Eigentum gibt es im Rahmen des Greenings / Vertragsnaturschutzes auch Fördermittel.

Was private landwirtschaftliche Flächen betrifft, hat die Stadt zwar keinen direkten Einfluss, kann aber an die Rücksichtnahme auf die Artenvielfalt appellieren, ggfs. indem sie gemeinsam mit der Landwirtschaftskammer NRW eine Informations-veranstaltung für die Landwirte anbietet, und sie mit bereits vorhandenen Konzepten wie das der ökologischen Leitbetriebe bekannt macht.

 

      D   Gewerbegebiete

Grünflächen in Gewerbegebieten bilden zwar die Ausnahme, tragen aber auch hier zu einem angenehmeren Mikroklima bei. Eine Aufwertung kann auch hier durch eine Umstellung der Pflegegänge oder eine besonders angepasste Einsaat oder Bepflanzung erreicht werden. Gründächer bilden zwar eine besonders flächenintensive Möglichkeit, das Blütenangebot zu erhöhen, werden aber häufig bereits beim Hallenbau als verteuernd und verkomplizierend abgelehnt. Hier besteht die Möglichkeit, zunächst über ein Informationsangebot die Betriebe auf dieses Handlungsfeld aufmerksam zu machen, bevor man bei Bedarf ein betriebs-spezifisches Beratungsangebot offeriert. Literatur und Beispielprojekte existieren zur Genüge. Denkbar wäre auch ein Workshop, in dem eine Firma, die bereits Maßnahmen umgesetzt hat, aus eigenen Erfahrungen berichtet.

 

Der Ausschuss für Stadtentwicklung befürwortet die dargelegte Vorgehensweise und beauftragt die Verwaltung, das Konzept in der vorgeschlagenen Vorgehensweise zu erarbeiten und dem Ausschuss für Stadtentwicklung im Herbst 2019 vorzustellen.

 

Finanz- und haushaltswirtschaftliche Auswirkungen :

 

Die Maßnahme ist im Haushaltsjahr 2020 im Wirtschaftsplan der KBE vorzusehen.

 

 

Leitbild :

 

Die Maßnahme steht im Einklang mit den Zielen des Leitbildes Kapitel 3.1.5.

 

 

 

In Vertretung

 

 

 

Dr. Wachs

Erster Beigeordneter