hier: Antrag Nr. XLIII 2018 - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Beschlussvorschlag
Der Rat beschließt im Sinne des Antrages ausdrücklich, dass auch
weiterhin entsprechend des Leitbildes an der Optimierung der Barrierefreiheit
in Emmerich am Rhein gearbeitet werden soll, um bei der Gestaltung von
Lebensräumen menschliche Vielfalt umfassend zu berücksichtigen und empfiehlt
die Einrichtung einer entsprechenden Arbeitsgruppe zur Auswertung der im Antrag
benannten Anregungen.
Sachdarstellung :
Mit Schreiben vom 13.07.2018 beantragt die Ratsfraktion
Bündnis 90/Die Grünen Maßnahmen für die barrierefreie Stadt umzusetzen und die
Anregungen einer Begehung mit betroffenen Bürgerinnen und Bürgern zu
berücksichtigen.
Während der Begehung mit Rollstuhlfahrern und
Rollatorenbenutzern wurden Schwierigkeiten auf verschiedenen Wegen und Straßen
in Emmerich am Rhein festgestellt. Während eines Ortstermins sind durch die
Antragsteller Bild- und Videomaterial erstellt worden, das im Rahmen der
Sitzung vorgeführt werden soll. Auch für die Beseitigung solcher baulichen
Barrieren beantragte im Rahmen der Haushaltsberatung ebenfalls die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen die Bereitstellung von 50.000,- € zwecks Fortentwicklung
der Stadt Emmerich am Rhein als behindertengerechte und fahrradfreundliche
Stadt. Diesem Vorschlag wurde gefolgt.
Der Antrag vom 13.07.2018 wurde in der
Ratssitzung am 25.09.2018 zur weiteren Beratung in den Ausschuss für
Stadtentwicklung und in den Sozialausschuss verwiesen.
Der Begriff Barrierefreiheit ist in der
deutschen Rechtsordnung in § 4 des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit
Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz - BGG) normiert:
„Barrierefrei
sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände,
Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle
Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete
Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein
üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe
auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung
behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig.“
Bei dieser Definition handelt es sich um eine
Auslegung des Begriffs ausschließlich im Kontext des Rechts behinderter
Menschen. Allerdings ist unstrittig, dass Barrierefreiheit im weiteren Sinne
allen nutzt: Menschen mit und ohne Behinderung, Senioren, Kindern, Eltern und
Menschen, die nur vorübergehend in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. So hilft
ein Aufzug Eltern mit Kinderwagen sowie alten und gehbehinderten Menschen
gleichermaßen.
Und was Menschen mit Lernschwierigkeiten
benötigen – nämlich Texte in leichter Sprache oder mit Bebilderungen – nutzt
auch vielen anderen Menschen, die wenig Deutsch sprechen oder kaum lesen
können. Damit weist der Begriff Barrierefreiheit über das Behinderungsrecht
hinaus auf ein Gebot, bei der Gestaltung von Umwelten menschliche Vielfalt
umfassend zu berücksichtigen.
Insoweit geht es also im Sinne eines „Universal-Designs“
um eine allgemeine Gestaltung des Lebensumfeldes für alle Menschen, die
möglichst niemanden ausschließt und von allen gleichermaßen genutzt werden
kann.
Dieser Zustand ist selbstverständlich nicht
ad hoc zu erreichen, sondern kann nur sukzessive angestrebt werden. Genau zu
diesem Zweck beinhaltet Ziffer 1.2 des Leitbilds der Stadt Emmerich am Rhein
die Vorgabe, dass wo immer möglich, barrierefreie Zugänge zu öffentlichen
Gebäuden, Kirchen, sozialen Einrichtungen, Schulen sowie zum Theater geplant
und gebaut werden, gleiches gilt für Gehwege und Zugänge zu den Parkanlagen und
Friedhöfen.
Bezüglich der baulichen Handlungsbedarfe, die
mit diesem Antrag verbunden sind, fand bereits anlässlich des o. a. weiteren
Antrages der Ratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen (Bereitstellung 50.000,- €) ein
Austausch im ASE statt. Die Beratung wird auch hier anlässlich der parallelen
Verweisung dieses Antrages an ASE und Sozialausschuss noch fortgesetzt. Eben
aufgrund der Verweisung in zwei Gremien scheint es zielführend, sich im
Sozialausschuss schwerpunktmäßig mit der Barrierefreiheit im Zusammenhang der
sozialen Aspekte zu befassen.
Die barrierefreie Gestaltung der sozialen
Lebensräume abseits der baulichen Anforderungen ist ebenfalls ein Ziel, welches
die Stadt Emmerich am Rhein bereits verfolgt. Auch hier werden sukzessive bei
Planungen und Umsetzungen von neuen Maßnahmen entsprechende Umsetzungsschritte
durchgeführt.
So wurde beispielsweise
-
die
Erarbeitung des aktuellen Internetauftritts der Stadt Emmerich am Rhein durch
die Agentur „Anatom 5“ begleitet, die auf barrierefreies Webdesign
spezialisiert ist. Folglich ist die Homepage bereits Screenreader optimiert
(ermöglicht sehbeeinträchtigten Personen die Nutzung).
-
Insbesondere
in den Asylunterkünften wird viel mit Piktogrammen statt Texten gearbeitet, um
die fremdsprachigen Menschen, die dort untergebracht sind, zu erreichen.
-
Auch im
Rahmen der tausenden Beratungsgespräche (z.B. im Bereich der
Sozialleistungsgewährung oder des Sozialen Dienstes) versuchen die städtischen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die oftmals komplexen gesetzlichen Regelungen
in leichter Sprache zu erörtern, um diese für alle nachvollziehbar zu machen.
-
Unterstützung
von Bedürftigen im Rahmen der Antragstellung bei finanziellen Leistungen wie
der Eingliederungshilfe oder der Hilfe zur Pflege, welche in die Zuständigkeit
des Kreises Kleve fallen, sind selbstverständlich.
-
Die
gesetzlichen Regelungen des Sozialgesetzbuches sehen außerdem für viele
Bereiche zusätzliche Leistungen vor, um allen eine Teilhabe am sozialen Leben
zu ermöglichen. So gibt es beispielsweise Mehrbedarfe für Heilhilfsmittel,
kostenaufwändigere Ernährung oder erhöhte Wohnflächenbedarfe für
Rollstuhlfahrer.
-
Im
Bereich der Arbeitsvermittlung sind besondere Förderungen für Arbeitgeber, die
Menschen mit Behinderung einstellen, üblich, um die Mittel für evtl.
erforderliche Zusatzausstattungen des Arbeitsplatzes zu ermöglichen.
-
In
Einzelfällen kommt es auch vor, dass entsprechende Anträge von den
Sachbearbeitern vor Ort bei den Hilfebedürftigen aufgenommen werden, wenn diese
den Weg ins Rathaus aus gesundheitlichen Gründen nicht auf sich nehmen können.
-
Des
Weiteren werden die Träger der Wohlfahrtpflege durch Zuschüsse unterstützt, die
gerade im Bereich der Beratung und Unterstützung auch für behinderte Menschen
aktiv sind und so den Zugang zu vielen staatlichen, aber auch privaten
Dienstleistungen ebnen.
-
Im
Bereich der Schulverwaltung ist das Thema Inklusion, welches eng verbunden ist
mit der Frage der Barrierefreiheit, fest verankert.
In Zukunft sollen
auch die Angebote im „Wette Telder“ einen Beitrag zum leichteren Zugang zu
Beratungs- und Hilfsangeboten leisten.
Barrierefreiheit in der Stadtentwicklung/Gebäudewirtschaft
Der Aspekt Barrierefreiheit durchzieht auch
sämtliche Maßnahmen, die in den Bereichen Stadtentwicklung und
Gebäudewirtschaft in jüngerer Vergangenheit geplant und realisiert wurden. So
werden im Rahmen des Straßenausbaus seit rund 10 Jahren Maßnahmen für eine
gesetzlich vorgeschriebene barrierefreie Gestaltung umgesetzt. So wurden in der
Vergangenheit beim Ausbau der Straßen
•
Im
Grunewald
•
Karolingerstraße
•
Chamaverstraße
•
Auf dem
Hügel
•
Platanenweg
•
Nollenburger
Weg
•
Schillerstraße
•
Bredenbachstraße,
Kreuzung mit der Schillerstr.
die Belange eines barrierefreien Ausbaus
bereits berücksichtigt.
Ganz aktuell lässt sich dieser Aspekt am
jüngst abgeschlossenen Straßenausbauprojekt Goebelstraße veranschaulichen. So
wurden dort u.a.
•
taktile
Pflaster auf den Gehwegen verbaut,
•
ein
möglichst geringe Querneigung der Gehwege realisiert (um die Nutzung der Wege
mit Rollstühlen, Rollatoren oder Kinderwagen zu erleichtern) und
•
die
Bushaltestellen so ausgestaltet, dass ein barrierefreier Einstieg möglich ist.
Bei der Planung und Umsetzung der Maßnahmen
orientiert sich der zuständige Fachbereich an bestehenden Normen und
Handlungsempfehlungen, wie z.B. dem Leitfaden für Barrierefreiheit im
Straßenraum des Landesbetriebs Straßen.NRW.
Zudem wurde für die Umgestaltung von Bushaltestellen zuletzt in diesem Jahr
Fördermittel beim Verkehrsverbund Rhein Ruhr beantragt. Mithilfe der
finanziellen Unterstützung sollen so nach und nach die Bushaltestellen im
Stadtgebiet in der Art umgestaltet, dass Sie durch einen Höhenausgleich den
niveaugleichen Einstieg in die Fahrzeuge ermöglichen. Bereits umgestaltet
wurden die Haltestellen:
•
Nollenburger
Weg
•
Grollscher
Weg (Schule)
•
Hinter
dem Kapaunenberg
Nach den aktuellen Planungen folgt noch in
diesem Jahr der barrierefreie Ausbau weiterer Haltestellen u.a. an der
Hansastaße (Gymnasium) und entlang der L7 (Vrasselt Kirche, Pionierstraße,
von-der-Recke-Straße, Praest Kirche).
Im Rahmen eines Klimaschutzteilkonzeptes
Mobilität, sollen die Belange von Fußgängern und Radfahrern fokussiert
betrachtet werden. Die Bewilligung der Fördermittel für dieses Konzept ist
erfolgt. In diesem Konzept soll die Förderung und Verbesserung des Fußgänger-
und Radverkehrs, in Form einer Nahmobilitätsstrategie,
als fachübergreifender Handlungsleitfaden für eine verbesserte Performance in
Bezug auf die Klimaschutzziele herausgestellt werden. Bestandteil des Konzeptes
ist ein Maßnahmenkatalog, der verschiedene Bausteine aufzeigen soll, die
gezielt umgesetzt werden können. Handlungsfelder sind beispielsweise:
•
Netzlückenschlüsse
der Radwege,
•
Verbesserung
der Querungsbedingungen für Fußgänger,
•
Verbesserung
der Aufenthaltsqualität für zu Fuß gehende im Straßenraum unter
Berücksichtigung verschiedener Altersklassen (Barrierefreiheit)
Für eine Beantragung finanzieller Mittel aus
dem Fördertopf Nahmobilität, müssen konkrete Projekte geplant sein. Diese
werden sich aus dem Konzept ergeben. Im Haushalt der Stadt ist bereits eine
Kostenstelle aufgenommen, in die ein jährlicher Pauschalbetrag in Höhe von
5.000 € für einen sukzessiven barrierefreien Umbau von Verkehrseinrichtungen im
Stadtgebiet eingestellt wurde.
Die aktuellen Schulbauprojekte machen deutlich, dass Fragen der Barrierefreiheit
auch bei den Planungen im Bereich der städtischen Gebäudewirtschaft
Berücksichtigung finden. So verfügt das sanierte Schulgebäude Paaltjessteege
u.a. über:
•
einen
Aufzug,
•
eine
Behindertentoilette mit Notrufaufschaltung bei den Hausmeistern,
•
extra
breite Türdurchgänge und
•
farblich
unterschiedlich gestaltete Wand- und Bodenbereiche zur Erleichterung der
Orientierung für seheingeschränkte Menschen.
Das neu zu errichtende Schulgebäude am Brink
erhält vergleichbare Standards. Ebenfalls in Planung befindet sich aktuell der Ausbau der Rollstuhlplätze im Stadttheater.
Denkbar wäre auch den Abbau von sozialen
Barrieren zu fördern, in dem in der Öffentlichkeit darüber aufgeklärt und bei
Nicht-Behinderten ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, wo es konkrete
Barrieren gibt und wie man helfen kann, um sie zu beseitigen. Das gilt nicht
nur für Nicht-Behinderte. Es wird auch Körperbehinderte geben, die wenig
Kenntnis über die Bedürfnisse Sinnes- oder Lernbehinderter haben oder
umgekehrt.
Die Sensibilisierung für Barrieren ist ein
wichtiges Thema. Es gibt keinen Königsweg für diese Aufgabe. Hierbei sollten
Behinderte stärker in die Mitte der Gesellschaft rücken und so die Gelegenheit
erhalten ein Stück Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache zu leisten.
Mehr Öffentlichkeitsarbeit trägt dazu bei,
dass das Thema Barrierefreiheit mehr Präsenz in der Gesellschaft gewinnt. Nur
durch solche Aufklärung und Schaffung eines Problembewusstseins können auch
private Geschäftsbetreiber bzw. Dienstleister, für die rechtlich keine
Verpflichtung besteht, ihre Betriebsräume und Angebote barrierefrei zu
gestalten, auf freiwilliger Basis dafür gewonnen werden, ihren Beitrag zur
Gestaltung eines Lebensumfelds zu leisten, welches von allen gleichermaßen
genutzt werden kann.
Diese Auflistung von Beispielen aus den
diversen Themenfeldern der Verwaltung erhebt keinen Anspruch auf
Vollständigkeit und ließe sich noch weiterführen. Deutlich wird jedoch, dass
sich die Frage der Barrierefreiheit nicht auf einen klar abgrenzbaren
Fachbereich innerhalb der Verwaltung beschränken lässt, sondern grundsätzlich
im Bewusstsein der jeweils handelnden Akteure in den Fachabteilungen verankert
sein muss. Ein verantwortlicher Ansprechpartner/Beauftragter, der das
Themenfeld Barrierefreiheit fachbereichsübergreifend koordiniert und verknüpft,
existiert innerhalb der Verwaltung aktuell allerdings nicht.
Einrichtung einer Arbeitsgruppe
Der dem Antrag beigelegte Städte-Test der
Aktion Mensch zeigt in Ansätzen auf, wie vielschichtig das Thema
Barrierefreiheit ist und verdeutlicht so auch, dass die im Antrag ganz
allgemein geforderte Umsetzung von Maßnahmen für eine barrierefreie Stadt unter
allen Umständen einer stärkeren Konkretisierung bedarf. Auf Grundlage der im
Antrag beschriebenen vorliegenden Anregungen aus der Bürgerschaft könnten
konkrete Ziele und Maßnahmen beschrieben und priorisiert, der notwendige
personelle und finanzielle Ressourcenbedarf skizziert und Zuständigkeiten
innerhalb der Verwaltung festgelegt werden.
Die Verwaltung schlägt zu dem Zweck die
Einrichtung einer Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitgliedern aller Fraktionen,
Vertretern der Seniorenvertretung und der Verwaltung, vor, die die dem Antrag
zu Grunde liegenden Feststellungen zu den begangenen Bereichen auswertet und
Vorschläge für weitergehende Maßnahmen entwickelt.
Finanz- und
haushaltswirtschaftliche Auswirkungen :
Die Maßnahme hat
keine finanz- und haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen.
Leitbild :
Die Maßnahme steht
im Einklang mit den Zielen des Leitbildes Kapitel 3.1.
Peter Hinze
Bürgermeister