Betreff
Maßnahmen für eine barrierefreie Stadt;
hier: Antrag Nr. XLIII 2018 - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Vorlage
07 - 16 1912/2019
Art
Verwaltungsvorlage
Untergeordnete Vorlage(n)

Beschlussvorschlag

 

Der Rat beschließt im Sinne des Antrages ausdrücklich, dass auch weiterhin entsprechend des Leitbildes an der Optimierung der Barrierefreiheit in Emmerich am Rhein gearbeitet werden soll, um bei der Gestaltung von Lebensräumen menschliche Vielfalt umfassend zu berücksichtigen und empfiehlt die Einrichtung einer entsprechenden Arbeitsgruppe zur Auswertung der im Antrag benannten Anregungen.

 

Sachdarstellung :

 

Mit Schreiben vom 13.07.2018 beantragt die Ratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Maßnahmen für die barrierefreie Stadt umzusetzen und die Anregungen einer Begehung mit betroffenen Bürgerinnen und Bürgern zu berücksichtigen.

 

Während der Begehung mit Rollstuhlfahrern und Rollatorenbenutzern wurden Schwierigkeiten auf verschiedenen Wegen und Straßen in Emmerich am Rhein festgestellt. Während eines Ortstermins sind durch die Antragsteller Bild- und Videomaterial erstellt worden, das im Rahmen der Sitzung vorgeführt werden soll. Auch für die Beseitigung solcher baulichen Barrieren beantragte im Rahmen der Haushaltsberatung ebenfalls die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Bereitstellung von 50.000,- € zwecks Fortentwicklung der Stadt Emmerich am Rhein als behindertengerechte und fahrradfreundliche Stadt. Diesem Vorschlag wurde gefolgt.

 

Der Antrag vom 13.07.2018 wurde in der Ratssitzung am 25.09.2018 zur weiteren Beratung in den Ausschuss für Stadtentwicklung und in den Sozialausschuss verwiesen.

 

Der Begriff Barrierefreiheit ist in der deutschen Rechtsordnung in § 4 des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz - BGG) normiert:

„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig.“

 

Bei dieser Definition handelt es sich um eine Auslegung des Begriffs ausschließlich im Kontext des Rechts behinderter Menschen. Allerdings ist unstrittig, dass Barrierefreiheit im weiteren Sinne allen nutzt: Menschen mit und ohne Behinderung, Senioren, Kindern, Eltern und Menschen, die nur vorübergehend in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. So hilft ein Aufzug Eltern mit Kinderwagen sowie alten und gehbehinderten Menschen gleichermaßen.

Und was Menschen mit Lernschwierigkeiten benötigen – nämlich Texte in leichter Sprache oder mit Bebilderungen – nutzt auch vielen anderen Menschen, die wenig Deutsch sprechen oder kaum lesen können. Damit weist der Begriff Barrierefreiheit über das Behinderungsrecht hinaus auf ein Gebot, bei der Gestaltung von Umwelten menschliche Vielfalt umfassend zu berücksichtigen.

 

Insoweit geht es also im Sinne eines „Universal-Designs“ um eine allgemeine Gestaltung des Lebensumfeldes für alle Menschen, die möglichst niemanden ausschließt und von allen gleichermaßen genutzt werden kann.

 

Dieser Zustand ist selbstverständlich nicht ad hoc zu erreichen, sondern kann nur sukzessive angestrebt werden. Genau zu diesem Zweck beinhaltet Ziffer 1.2 des Leitbilds der Stadt Emmerich am Rhein die Vorgabe, dass wo immer möglich, barrierefreie Zugänge zu öffentlichen Gebäuden, Kirchen, sozialen Einrichtungen, Schulen sowie zum Theater geplant und gebaut werden, gleiches gilt für Gehwege und Zugänge zu den Parkanlagen und Friedhöfen.

 

Bezüglich der baulichen Handlungsbedarfe, die mit diesem Antrag verbunden sind, fand bereits anlässlich des o. a. weiteren Antrages der Ratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen (Bereitstellung 50.000,- €) ein Austausch im ASE statt. Die Beratung wird auch hier anlässlich der parallelen Verweisung dieses Antrages an ASE und Sozialausschuss noch fortgesetzt. Eben aufgrund der Verweisung in zwei Gremien scheint es zielführend, sich im Sozialausschuss schwerpunktmäßig mit der Barrierefreiheit im Zusammenhang der sozialen Aspekte zu befassen.

 

Die barrierefreie Gestaltung der sozialen Lebensräume abseits der baulichen Anforderungen ist ebenfalls ein Ziel, welches die Stadt Emmerich am Rhein bereits verfolgt. Auch hier werden sukzessive bei Planungen und Umsetzungen von neuen Maßnahmen entsprechende Umsetzungsschritte durchgeführt.

 

So wurde beispielsweise

-       die Erarbeitung des aktuellen Internetauftritts der Stadt Emmerich am Rhein durch die Agentur „Anatom 5“ begleitet, die auf barrierefreies Webdesign spezialisiert ist. Folglich ist die Homepage bereits Screenreader optimiert (ermöglicht sehbeeinträchtigten Personen die Nutzung).

-       Insbesondere in den Asylunterkünften wird viel mit Piktogrammen statt Texten gearbeitet, um die fremdsprachigen Menschen, die dort untergebracht sind, zu erreichen.

-       Auch im Rahmen der tausenden Beratungsgespräche (z.B. im Bereich der Sozialleistungsgewährung oder des Sozialen Dienstes) versuchen die städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die oftmals komplexen gesetzlichen Regelungen in leichter Sprache zu erörtern, um diese für alle nachvollziehbar zu machen.

-       Unterstützung von Bedürftigen im Rahmen der Antragstellung bei finanziellen Leistungen wie der Eingliederungshilfe oder der Hilfe zur Pflege, welche in die Zuständigkeit des Kreises Kleve fallen, sind selbstverständlich.

-       Die gesetzlichen Regelungen des Sozialgesetzbuches sehen außerdem für viele Bereiche zusätzliche Leistungen vor, um allen eine Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen. So gibt es beispielsweise Mehrbedarfe für Heilhilfsmittel, kostenaufwändigere Ernährung oder erhöhte Wohnflächenbedarfe für Rollstuhlfahrer.

-       Im Bereich der Arbeitsvermittlung sind besondere Förderungen für Arbeitgeber, die Menschen mit Behinderung einstellen, üblich, um die Mittel für evtl. erforderliche Zusatzausstattungen des Arbeitsplatzes zu ermöglichen.

-       In Einzelfällen kommt es auch vor, dass entsprechende Anträge von den Sachbearbeitern vor Ort bei den Hilfebedürftigen aufgenommen werden, wenn diese den Weg ins Rathaus aus gesundheitlichen Gründen nicht auf sich nehmen können.

-       Des Weiteren werden die Träger der Wohlfahrtpflege durch Zuschüsse unterstützt, die gerade im Bereich der Beratung und Unterstützung auch für behinderte Menschen aktiv sind und so den Zugang zu vielen staatlichen, aber auch privaten Dienstleistungen ebnen.

-       Im Bereich der Schulverwaltung ist das Thema Inklusion, welches eng verbunden ist mit der Frage der Barrierefreiheit, fest verankert.

 

In Zukunft sollen auch die Angebote im „Wette Telder“ einen Beitrag zum leichteren Zugang zu Beratungs- und Hilfsangeboten leisten.

 

Barrierefreiheit in der Stadtentwicklung/Gebäudewirtschaft

Der Aspekt Barrierefreiheit durchzieht auch sämtliche Maßnahmen, die in den Bereichen Stadtentwicklung und Gebäudewirtschaft in jüngerer Vergangenheit geplant und realisiert wurden. So werden im Rahmen des Straßenausbaus seit rund 10 Jahren Maßnahmen für eine gesetzlich vorgeschriebene barrierefreie Gestaltung umgesetzt. So wurden in der Vergangenheit beim Ausbau der Straßen

 

       Im Grunewald

       Karolingerstraße

       Chamaverstraße

       Auf dem Hügel

       Platanenweg

       Nollenburger Weg

       Schillerstraße

       Bredenbachstraße, Kreuzung mit der Schillerstr.

 

die Belange eines barrierefreien Ausbaus bereits berücksichtigt.

Ganz aktuell lässt sich dieser Aspekt am jüngst abgeschlossenen Straßenausbauprojekt Goebelstraße veranschaulichen. So wurden dort u.a.

       taktile Pflaster auf den Gehwegen verbaut,

      ein möglichst geringe Querneigung der Gehwege realisiert (um die Nutzung der Wege mit Rollstühlen, Rollatoren oder Kinderwagen zu erleichtern) und

      die Bushaltestellen so ausgestaltet, dass ein barrierefreier Einstieg möglich ist.

 

Bei der Planung und Umsetzung der Maßnahmen orientiert sich der zuständige Fachbereich an bestehenden Normen und Handlungsempfehlungen, wie z.B. dem Leitfaden für Barrierefreiheit im Straßenraum des Landesbetriebs Straßen.NRW.

 

Zudem wurde für die Umgestaltung von Bushaltestellen zuletzt in diesem Jahr Fördermittel beim Verkehrsverbund Rhein Ruhr beantragt. Mithilfe der finanziellen Unterstützung sollen so nach und nach die Bushaltestellen im Stadtgebiet in der Art umgestaltet, dass Sie durch einen Höhenausgleich den niveaugleichen Einstieg in die Fahrzeuge ermöglichen. Bereits umgestaltet wurden die Haltestellen:

       Nollenburger Weg

       Grollscher Weg (Schule)

       Hinter dem Kapaunenberg

Nach den aktuellen Planungen folgt noch in diesem Jahr der barrierefreie Ausbau weiterer Haltestellen u.a. an der Hansastaße (Gymnasium) und entlang der L7 (Vrasselt Kirche, Pionierstraße, von-der-Recke-Straße, Praest Kirche).

 

Im Rahmen eines Klimaschutzteilkonzeptes Mobilität, sollen die Belange von Fußgängern und Radfahrern fokussiert betrachtet werden. Die Bewilligung der Fördermittel für dieses Konzept ist erfolgt. In diesem Konzept soll die Förderung und Verbesserung des Fußgänger- und Radverkehrs, in Form einer Nahmobilitätsstrategie, als fachübergreifender Handlungsleitfaden für eine verbesserte Performance in Bezug auf die Klimaschutzziele herausgestellt werden. Bestandteil des Konzeptes ist ein Maßnahmenkatalog, der verschiedene Bausteine aufzeigen soll, die gezielt umgesetzt werden können. Handlungsfelder sind beispielsweise: 

       Netzlückenschlüsse der Radwege,

       Verbesserung der Querungsbedingungen für Fußgänger,

       Verbesserung der Aufenthaltsqualität für zu Fuß gehende im Straßenraum unter Berücksichtigung verschiedener Altersklassen (Barrierefreiheit)

 

Für eine Beantragung finanzieller Mittel aus dem Fördertopf Nahmobilität, müssen konkrete Projekte geplant sein. Diese werden sich aus dem Konzept ergeben. Im Haushalt der Stadt ist bereits eine Kostenstelle aufgenommen, in die ein jährlicher Pauschalbetrag in Höhe von 5.000 € für einen sukzessiven barrierefreien Umbau von Verkehrseinrichtungen im Stadtgebiet eingestellt wurde.

 

Die aktuellen Schulbauprojekte machen deutlich, dass Fragen der Barrierefreiheit auch bei den Planungen im Bereich der städtischen Gebäudewirtschaft Berücksichtigung finden. So verfügt das sanierte Schulgebäude Paaltjessteege u.a. über:

       einen Aufzug,

       eine Behindertentoilette mit Notrufaufschaltung bei den Hausmeistern,

      extra breite Türdurchgänge und

      farblich unterschiedlich gestaltete Wand- und Bodenbereiche zur Erleichterung der Orientierung für seheingeschränkte Menschen.

Das neu zu errichtende Schulgebäude am Brink erhält vergleichbare Standards. Ebenfalls in Planung befindet sich aktuell der Ausbau der Rollstuhlplätze im Stadttheater.

 

Denkbar wäre auch den Abbau von sozialen Barrieren zu fördern, in dem in der Öffentlichkeit darüber aufgeklärt und bei Nicht-Behinderten ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, wo es konkrete Barrieren gibt und wie man helfen kann, um sie zu beseitigen. Das gilt nicht nur für Nicht-Behinderte. Es wird auch Körperbehinderte geben, die wenig Kenntnis über die Bedürfnisse Sinnes- oder Lernbehinderter haben oder umgekehrt.

Die Sensibilisierung für Barrieren ist ein wichtiges Thema. Es gibt keinen Königsweg für diese Aufgabe. Hierbei sollten Behinderte stärker in die Mitte der Gesellschaft rücken und so die Gelegenheit erhalten ein Stück Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache zu leisten.

 

Mehr Öffentlichkeitsarbeit trägt dazu bei, dass das Thema Barrierefreiheit mehr Präsenz in der Gesellschaft gewinnt. Nur durch solche Aufklärung und Schaffung eines Problembewusstseins können auch private Geschäftsbetreiber bzw. Dienstleister, für die rechtlich keine Verpflichtung besteht, ihre Betriebsräume und Angebote barrierefrei zu gestalten, auf freiwilliger Basis dafür gewonnen werden, ihren Beitrag zur Gestaltung eines Lebensumfelds zu leisten, welches von allen gleichermaßen genutzt werden kann.

 

Diese Auflistung von Beispielen aus den diversen Themenfeldern der Verwaltung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ließe sich noch weiterführen. Deutlich wird jedoch, dass sich die Frage der Barrierefreiheit nicht auf einen klar abgrenzbaren Fachbereich innerhalb der Verwaltung beschränken lässt, sondern grundsätzlich im Bewusstsein der jeweils handelnden Akteure in den Fachabteilungen verankert sein muss. Ein verantwortlicher Ansprechpartner/Beauftragter, der das Themenfeld Barrierefreiheit fachbereichsübergreifend koordiniert und verknüpft, existiert innerhalb der Verwaltung aktuell allerdings nicht.

 

Einrichtung einer Arbeitsgruppe

Der dem Antrag beigelegte Städte-Test der Aktion Mensch zeigt in Ansätzen auf, wie vielschichtig das Thema Barrierefreiheit ist und verdeutlicht so auch, dass die im Antrag ganz allgemein geforderte Umsetzung von Maßnahmen für eine barrierefreie Stadt unter allen Umständen einer stärkeren Konkretisierung bedarf. Auf Grundlage der im Antrag beschriebenen vorliegenden Anregungen aus der Bürgerschaft könnten konkrete Ziele und Maßnahmen beschrieben und priorisiert, der notwendige personelle und finanzielle Ressourcenbedarf skizziert und Zuständigkeiten innerhalb der Verwaltung festgelegt werden.

 

Die Verwaltung schlägt zu dem Zweck die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitgliedern aller Fraktionen, Vertretern der Seniorenvertretung und der Verwaltung, vor, die die dem Antrag zu Grunde liegenden Feststellungen zu den begangenen Bereichen auswertet und Vorschläge für weitergehende Maßnahmen entwickelt.

 

Finanz- und haushaltswirtschaftliche Auswirkungen :

 

Die Maßnahme hat keine finanz- und haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen.

 

 

Leitbild :

 

Die Maßnahme steht im Einklang mit den Zielen des Leitbildes Kapitel 3.1.

 

 

 

Peter Hinze

Bürgermeister