hier: Eingabe Nr. X/2012 der BGE-Ratsfraktion Emmerich am Rhein
Beschlussvorschlag
Der Rat beschließt, der beantragten Einführung von EM-TV, nicht
zuzustimmen.
Begründung
Die Fraktion BGE beantragt mit Schreiben vom 18.07.2012 die Einführung
von EM-TV und damit die zukünftige Übertragung aller Sitzungen des Rates und
seiner Ausschüsse ins Internet. Eine technische und finanzielle Ablaufstudie
ist dem Antrag beigefügt.
Die Beteiligung möglichst vieler Bürgerinnen und Bürgern an
kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen bildet eine Grundvoraussetzung für
die Akzeptanz der durch den Rat und seine Ausschüsse getroffenen
Entscheidungen. Die öffentlichen Sitzungen des Rates und seiner Ausschüsse
werden aber in der Regel nur von einer relativ geringen Anzahl interessierter
Bürgerinnen und Bürger verfolgt.
Zu prüfen ist, unter welchen Voraussetzungen die Übertragung aller
öffentlicher Sitzungen ins Internet
realisierbar ist und ob diese Maßnahme geeignet ist, die Zielsetzung, das
Interesse vieler Bürgerinnen und Bürger an kommunalpolitischen Themen zu wecken
und sie an der Entscheidungsfindung teilhaben zu lassen, zu erreichen.
1.Rechtliche
Würdigung
Zu beantworten ist zunächst die Frage, ob die Übertragung der Sitzungen
des Rates und seiner Ausschüsse mit den geltenden Rechtsnormen, insbesondere
den Bestimmungen des Datenschutzrechtes und des kommunalen Verfassungsrechtes,
vereinbart werden kann.
Der Minister für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen
hat hierzu aktuell am 16. Juli 2012 im Rahmen der Beantwortung der Kleinen
Anfrage (Anfrage 27 vom 12. Juni 2012 verschiedener Abgeordneter der FDP
„Kommunalpolitik „live“ im Netz –Mehr Transparenz in Kreistag und Rat ?) namens
der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für
Bundesangelegenheiten, Europa und Medien folgende Aussage gemacht:
„Eine Live-Übertragung von Sitzungen kommunaler
Vertretungskörperschaften stellt aus datenschutzrechtlicher Sicht die
(weltweite) Übermittlung personenbezogener Daten an eine Vielzahl unbestimmter
Personen dar. Eine solche Datenerhebung und –übermittlung ist gem. § 4 Abs. 1
des Landesdatenschutzgesetzes nur zulässig, wenn das Landesdatenschutzgesetz
oder eine andere Rechtsvorschrift sie erlaubt oder die betroffenen Personen
eingewilligt haben. Die entsprechenden Regelungen des Landesdatenschutzgesetzes
(§§ 16, 17 DSG NRW) enthalten keine ausreichende Rechtsgrundlage für die
Live-Übertragung im Internet. Ebenso wenig ist die Übertragung der Sitzungen
der Vertretungskörperschaften im Internet in den kommunalrechtlichen Vorschriften
geregelt. Lediglich die Zulassung der sogenannten „Saalöffentlichkeit“ zu den
Sitzungen ist dort normiert, aber nicht die weitergehende
„Medienöffentlichkeit“.
Daher ist nach derzeitiger Rechtslage die Live-Übertragung der Sitzungen
der Vertretungskörperschaften nur zulässig, wenn die Mitglieder der
Vertretungskörperschaft dieser Übertragung zugestimmt haben. Da eine
Live-Übertragung der Sitzung der Vertretungskörperschaft auch weitere anwesende
Personen (Beschäftigte der Kommunen, sachkundige Bürgerinnen und Bürger,
Zuschauer) betreffen kann, ist auch deren Einwilligung zur Übertragung
erforderlich. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass die
Persönlichkeitsrechte der Personen, die der Übertragung nicht zugestimmt haben,
gewahrt bleiben. Das Nähere kann in der Geschäftsordnung der
Vertretungskörperschaft geregelt werden.“
Insbesondere kann die Einwilligung nicht automatisch bei nicht erfolgtem
Widerspruch unterstellt werden. Vielmehr muss jeder Sitzungsteilnehmer vor
Sitzungsbeginn seine Einwilligung erklären. Falls ein Betroffener seine
Einwilligung verweigert oder sie im Verlauf der Sitzung widerruft, ist
sicherzustellen, dass die Übertragung bei dessen Redebeiträgen abgeschaltet
wird.
Darüber hinaus gilt es, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren.
Hierzu äußert sich der Landesdatenschutzbeauftragte wie folgt :
„Hinsichtlich der Art und Weise der Übertragung ist der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen. Eine Aufnahme der Sitzung
darf nur so weit gehen, wie es zur Informations-übermittlung erforderlich ist.
So könnten im Einzelfall Nahaufnahmen aus jeglicher Perspektive als nicht
erforderlich angesehen werden oder eine Aufnahme auf das Rednerpult beschränkt
werden. Auf diese Weise würde auch gewährleistet, dass es zu keiner Beeinträchtigung
des Persönlichkeitsrechtes der zuschauenden Bürger kommt. Das ist aber je nach
Ausgestaltung einer Einzelfallwürdigung vorbehalten.“
Die aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergehende Notwendigkeit
einer personellen Regieleistung stellt eine weitere Hürde dar.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die Übertragung von Rats- und
Ausschuss-sitzungen mittels eines Live-Streams unter Beachtung der
datenschutzrechtlichen Bestimmungen und Schaffung der
kommunalverfassungsrechtlichen Grundlagen (hier : Anpassung der
Geschäftsordnung der Stadt Emmerich am Rhein für den Rat und seine Ausschüsse)
zulässig wäre.
2. Auswirkungen
auf die Sitzungskultur
Bei der Entscheidung, ob Live-Übertragungen zukünftig durchgeführt
werden sollen, sind auch mögliche Auswirkungen auf die Sitzungskultur zu
bedenken. Die Tatsache, dass die einzelne Sitzung live mitverfolgt werden kann,
könnte Einfluss auf die Wortbeiträge haben. Vorstellbar ist zum einen, dass
medienwirksame Polemik die gebotene Sachlichkeit im Diskussionsverlauf
verdrängt. Andererseits könnte die Übertragung ins Internet auch für Einzelne
ein Hemmnis darstellen, die ihre Redebeiträge aus diesem Grund nicht
einbringen.
Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass eine missbräuchliche
oder verfremdete Verwendung der Live-Übertragung nicht ausgeschlossen werden
kann. Auch wenn die Ausstrahlung nur als sog. Live-Stream erfolgt und die
einzelne Sitzung nicht gespeichert wird, muss sich der Rat bei seiner
Entscheidung über die Einführung dieser Technik darüber bewusst sein, dass
dieser Live-Stream am heimischen PC aufgezeichnet und ggf. auch aufbereitet
werden kann. Es wäre also durchaus vorstellbar, dass Szenen aus den Sitzungen
des Rates und seiner Ausschüsse auf entsprechenden Portalen (z.B. Youtube)
dauerhaft abrufbar sein werden.
3. Kosten
Bei der Ermittlung der Höhe der Finanzmittel, die für die
Live-Übertragung der Rats- und Ausschusssitzungen jährlich aufzubringen sind,
gilt es sowohl die Kosten der Technik (Hard- und Software) als auch die
Personalkosten zu berücksichtigen.
Die Kosten der Technik stehen wiederum in Abhängigkeit zum gewünschten
Standard (Anzahl der einzusetzenden Kameras, Qualität der Aufzeichnung; text.
Aufbereitung der übertragenen Daten etc.). Die nachfolgende Kostenübersicht
orientiert sich in Bezug auf die für die Hard- und Software aufzubringenden
Mittel an der dem Antrag der BGE-Fraktion beiliegenden technischen und
finanziellen Ablaufstudie.
Diese sind im Wesentlichen vergleichbar mit den Kosten, die andere
Kommunen ihren Berechungen zugrunde gelegt haben und können daher als
marktgerecht qualifiziert werden.
Keine Berücksichtigung in genannter Ablaufstudie finden aber die
personellen Aufwendungen, die bei Einführung dieses Services dauerhaft anfallen
würden und daher auch Bestandteil dieser Prüfung sein müssen.
In jedem Fall muss geschultes Personal zur Bedienung des Mischpultes in
jeder zu übertragenden Sitzung zum Einsatz kommen (Berechnung Variante 1).
Aufwändiger und personalintensiver, aber für eine den Internetnutzer
ansprechende Übertragung vermutlich notwendig, wäre es, auch zwei Personen für
die Bedienung der Kameras (Berechnung Variante 2) vorzusehen.
Da entsprechendes Personal vor Ort nicht zur Verfügung steht, müsste auf
entsprechende Honorarkräfte zurückgegriffen werden. In der Berechnung wird hier
jeweils ein Stundensatz von 15 Euro zugrunde gelegt. Die Sitzungsdaten des
Jahres 2011 bilden die Datenbasis für die Anzahl sowie die durchschnittliche
Dauer der Sitzungen.
Bei der Ermittlung der für den Personalaufwand aufzuwendenden Mittel
gilt ebenso wie für den zu favorisierenden technischen Standard, dass eine
exakte Bestimmung dieser Größen erst nach präziser Definition der
Leistungsanforderungen erfolgen kann.
Technik
Hard- und Softwarekosten 30.000
Euro einmalig
(Basis :
technische u. finanzielle
Ablaufstudie Antrag BGE-Fraktion)
Personal :
Variante 1 (Bedienung des Mischpultes, keine Kameraführung)
1 Honorarkraft a 15 Euro/Std.
durchschnittliche Dauer pro Sitzung 1,5 Std.
1 Stunde Vor- und Nachbereitung
Anzahl Sitzungen = 35
35 x 2,5 x 15 = 1.312,50 Euro
Variante 2 (Bedienung des Mischpultes und zweier Kameras)
3 Honorarkräfte a 15 Euro/Std
1 Stunde Vor- und Nachbereitung pro Sitzung durch 1 Honorarkraft
35x1,5x45 = 2.362,50
Euro
35x 1 x15 = 525,00 Euro
2.887,50
Euro
Ermittlung der
jährlichen Kosten bei Einführung von EM-TV :
Variante 1 :
Abschreibung (5 Jahre) Technik 6.000,00
Euro
Personalkosten 1.312,50
Euro
jährliche Kosten 7.312,50 Euro
Variante 2 :
Abschreibung (5 Jahre) Technik 6.000,00
Euro
Personalkosten 2.887,50
Euro
jährliche Kosten 8.887,50 Euro
Aus Vereinfachungsgründen wurde ein kalkulatorischer Zinssatz für das
durchschnittlich gebundene Kapital in die Berechnung nicht aufgenommen.
Ebenfalls noch unberücksichtigt sind die für eine entsprechend
leistungsfähige Internetverbindung aufzubringenden Mittel.
4. Erfahrungen
anderer Kommunen
Eine komplette Übersicht der Kommunen in NRW, die die Möglichkeit der
Live-Übertragungen derzeit nutzen, liegt nicht vor.
Bekannt ist, dass die Stadt Bonn (328.000 Einwohner) seit Ende 2009 ihre
öffentlichen Ratssitzungen ins Internet überträgt. Begonnen wurde mit einer
Standkamera; die Technik wurde inzwischen, auch mit der Intention, die
Übertragung für die Nutzer interessanter zu gestalten, weiter ausgebaut. Die
Stadt Bonn verfügt inzwischen über einen Pool in Kamera- und
Übertragungstechnik geschulter Mitarbeiter, aus dem das für die jeweilige
Übertragung benötigte Personal rekrutiert werden kann.
Für die erste Sitzung im Oktober haben sich 582 unterschiedliche
Besucher interessiert.
In den darauf folgenden Jahren wurden jeweils 10 öffentliche Sitzungen
des Rates live übertragen. Die durchschnittliche Anzahl unterschiedlicher
Besucher im Jahr 2010 betrug 423 (die Spanne lag hier von max. 721 bis
min.182); im Jahr 2011 interessierten sich durchschnittlich 287 (Spanne von
max. 605 bis min.64) Personen für den
Live-Stream.
In den Medien zu verfolgen war in den letzten Monaten, dass auch in
Nordrhein-Westfalen diverse Kommunen eine Prüfung der Einführung von
Live-Übertragung ihrer Sitzungen vorgenommen haben. Häufig wird allein unter
Hinweis auf die dauerhaft anfallenden Kosten von der Umsetzung abgesehen.
Die Landesregierung weist in der bereits unter 1. zitierten Antwort auf
die Kleine Anfrage 27 darauf hin, dass „die Entscheidung für oder gegen eine
Live-Übertragung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung bzw. als höchstpersönliche
Entscheidung der Mitglieder der Vertretungskörperschaften getroffen wird. Die
Sinnhaftigkeit dieser Entscheidungen wird von der Landesregierung nicht
bewertet.“
5.Fazit
Nach Prüfung der relevanten Aspekte empfiehlt die Verwaltung, die
Einführung nicht umzusetzen, da der Aufwand und auch die zu erwartenden bzw.
nicht auszuschließenden negativen Begleitumstände in keiner vertretbaren
Relation zum zu erwartenden Nutzen stehen.
Sachverhalt :
Sh. Anlage
Finanz- und haushaltswirtschaftliche Auswirkungen :
Die Maßnahme hat keine
finanz- und haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen.
Leitbild :
Die Maßnahme steht im
Einklang mit den Zielen des Leitbildes Kapitel 6.2.
Johannes Diks
Bürgermeister