Betreff
Einführung von EM-TV,
hier: Eingabe Nr. X/2012 der BGE-Ratsfraktion Emmerich am Rhein
Vorlage
01 - 15 0764/2012
Art
Antrag

Beschlussvorschlag

 

Der Rat beschließt, der beantragten Einführung von EM-TV, nicht zuzustimmen.

 

 

Begründung

Die Fraktion BGE beantragt mit Schreiben vom 18.07.2012 die Einführung von EM-TV und damit die zukünftige Übertragung aller Sitzungen des Rates und seiner Ausschüsse ins Internet. Eine technische und finanzielle Ablaufstudie ist dem Antrag beigefügt.

 

Die Beteiligung möglichst vieler Bürgerinnen und Bürgern an kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen bildet eine Grundvoraussetzung für die Akzeptanz der durch den Rat und seine Ausschüsse getroffenen Entscheidungen. Die öffentlichen Sitzungen des Rates und seiner Ausschüsse werden aber in der Regel nur von einer relativ geringen Anzahl interessierter Bürgerinnen und Bürger verfolgt.

Zu prüfen ist, unter welchen Voraussetzungen die Übertragung aller öffentlicher Sitzungen  ins Internet realisierbar ist und ob diese Maßnahme geeignet ist, die Zielsetzung, das Interesse vieler Bürgerinnen und Bürger an kommunalpolitischen Themen zu wecken und sie an der Entscheidungsfindung teilhaben zu lassen, zu erreichen.

 

1.Rechtliche Würdigung

Zu beantworten ist zunächst die Frage, ob die Übertragung der Sitzungen des Rates und seiner Ausschüsse mit den geltenden Rechtsnormen, insbesondere den Bestimmungen des Datenschutzrechtes und des kommunalen Verfassungsrechtes, vereinbart werden kann.

Der Minister für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen hat hierzu aktuell am 16. Juli 2012 im Rahmen der Beantwortung der Kleinen Anfrage (Anfrage 27 vom 12. Juni 2012 verschiedener Abgeordneter der FDP „Kommunalpolitik „live“ im Netz –Mehr Transparenz in Kreistag und Rat ?) namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien folgende Aussage gemacht:

„Eine Live-Übertragung von Sitzungen kommunaler Vertretungskörperschaften stellt aus datenschutzrechtlicher Sicht die (weltweite) Übermittlung personenbezogener Daten an eine Vielzahl unbestimmter Personen dar. Eine solche Datenerhebung und –übermittlung ist gem. § 4 Abs. 1 des Landesdatenschutzgesetzes nur zulässig, wenn das Landesdatenschutzgesetz oder eine andere Rechtsvorschrift sie erlaubt oder die betroffenen Personen eingewilligt haben. Die entsprechenden Regelungen des Landesdatenschutzgesetzes (§§ 16, 17 DSG NRW) enthalten keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Live-Übertragung im Internet. Ebenso wenig ist die Übertragung der Sitzungen der Vertretungskörperschaften im Internet in den kommunalrechtlichen Vorschriften geregelt. Lediglich die Zulassung der sogenannten „Saalöffentlichkeit“ zu den Sitzungen ist dort normiert, aber nicht die weitergehende „Medienöffentlichkeit“.

Daher ist nach derzeitiger Rechtslage die Live-Übertragung der Sitzungen der Vertretungskörperschaften nur zulässig, wenn die Mitglieder der Vertretungskörperschaft dieser Übertragung zugestimmt haben. Da eine Live-Übertragung der Sitzung der Vertretungskörperschaft auch weitere anwesende Personen (Beschäftigte der Kommunen, sachkundige Bürgerinnen und Bürger, Zuschauer) betreffen kann, ist auch deren Einwilligung zur Übertragung erforderlich. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass die Persönlichkeitsrechte der Personen, die der Übertragung nicht zugestimmt haben, gewahrt bleiben. Das Nähere kann in der Geschäftsordnung der Vertretungskörperschaft geregelt werden.“

Insbesondere kann die Einwilligung nicht automatisch bei nicht erfolgtem Widerspruch unterstellt werden. Vielmehr muss jeder Sitzungsteilnehmer vor Sitzungsbeginn seine Einwilligung erklären. Falls ein Betroffener seine Einwilligung verweigert oder sie im Verlauf der Sitzung widerruft, ist sicherzustellen, dass die Übertragung bei dessen Redebeiträgen abgeschaltet wird.

 

Darüber hinaus gilt es, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Hierzu äußert sich der Landesdatenschutzbeauftragte wie folgt :

„Hinsichtlich der Art und Weise der Übertragung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen. Eine Aufnahme der Sitzung darf nur so weit gehen, wie es zur Informations-übermittlung erforderlich ist. So könnten im Einzelfall Nahaufnahmen aus jeglicher Perspektive als nicht erforderlich angesehen werden oder eine Aufnahme auf das Rednerpult beschränkt werden. Auf diese Weise würde auch gewährleistet, dass es zu keiner Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtes der zuschauenden Bürger kommt. Das ist aber je nach Ausgestaltung einer Einzelfallwürdigung vorbehalten.“

Die aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergehende Notwendigkeit einer personellen Regieleistung stellt eine weitere Hürde dar.

 

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die Übertragung von Rats- und Ausschuss-sitzungen mittels eines Live-Streams unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen und Schaffung der kommunalverfassungsrechtlichen Grundlagen (hier : Anpassung der Geschäftsordnung der Stadt Emmerich am Rhein für den Rat und seine Ausschüsse) zulässig wäre.

 

 

2. Auswirkungen auf die Sitzungskultur

Bei der Entscheidung, ob Live-Übertragungen zukünftig durchgeführt werden sollen, sind auch mögliche Auswirkungen auf die Sitzungskultur zu bedenken. Die Tatsache, dass die einzelne Sitzung live mitverfolgt werden kann, könnte Einfluss auf die Wortbeiträge haben. Vorstellbar ist zum einen, dass medienwirksame Polemik die gebotene Sachlichkeit im Diskussionsverlauf verdrängt. Andererseits könnte die Übertragung ins Internet auch für Einzelne ein Hemmnis darstellen, die ihre Redebeiträge aus diesem Grund nicht einbringen.

 

Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass eine missbräuchliche oder verfremdete Verwendung der Live-Übertragung nicht ausgeschlossen werden kann. Auch wenn die Ausstrahlung nur als sog. Live-Stream erfolgt und die einzelne Sitzung nicht gespeichert wird, muss sich der Rat bei seiner Entscheidung über die Einführung dieser Technik darüber bewusst sein, dass dieser Live-Stream am heimischen PC aufgezeichnet und ggf. auch aufbereitet werden kann. Es wäre also durchaus vorstellbar, dass Szenen aus den Sitzungen des Rates und seiner Ausschüsse auf entsprechenden Portalen (z.B. Youtube) dauerhaft abrufbar sein werden.

 

 

3. Kosten

Bei der Ermittlung der Höhe der Finanzmittel, die für die Live-Übertragung der Rats- und Ausschusssitzungen jährlich aufzubringen sind, gilt es sowohl die Kosten der Technik (Hard- und Software) als auch die Personalkosten zu berücksichtigen.

 

Die Kosten der Technik stehen wiederum in Abhängigkeit zum gewünschten Standard (Anzahl der einzusetzenden Kameras, Qualität der Aufzeichnung; text. Aufbereitung der übertragenen Daten etc.). Die nachfolgende Kostenübersicht orientiert sich in Bezug auf die für die Hard- und Software aufzubringenden Mittel an der dem Antrag der BGE-Fraktion beiliegenden technischen und finanziellen Ablaufstudie.

Diese sind im Wesentlichen vergleichbar mit den Kosten, die andere Kommunen ihren Berechungen zugrunde gelegt haben und können daher als marktgerecht qualifiziert werden.

 

Keine Berücksichtigung in genannter Ablaufstudie finden aber die personellen Aufwendungen, die bei Einführung dieses Services dauerhaft anfallen würden und daher auch Bestandteil dieser Prüfung sein müssen.

In jedem Fall muss geschultes Personal zur Bedienung des Mischpultes in jeder zu übertragenden Sitzung zum Einsatz kommen (Berechnung Variante 1). Aufwändiger und personalintensiver, aber für eine den Internetnutzer ansprechende Übertragung vermutlich notwendig, wäre es, auch zwei Personen für die Bedienung der Kameras (Berechnung Variante 2) vorzusehen.

Da entsprechendes Personal vor Ort nicht zur Verfügung steht, müsste auf entsprechende Honorarkräfte zurückgegriffen werden. In der Berechnung wird hier jeweils ein Stundensatz von 15 Euro zugrunde gelegt. Die Sitzungsdaten des Jahres 2011 bilden die Datenbasis für die Anzahl sowie die durchschnittliche Dauer der Sitzungen.

 

Bei der Ermittlung der für den Personalaufwand aufzuwendenden Mittel gilt ebenso wie für den zu favorisierenden technischen Standard, dass eine exakte Bestimmung dieser Größen erst nach präziser Definition der Leistungsanforderungen erfolgen kann.

 

 

Technik

Hard- und Softwarekosten                                                      30.000 Euro    einmalig

(Basis :

 technische u. finanzielle Ablaufstudie Antrag BGE-Fraktion)

 

Personal :

Variante 1 (Bedienung des Mischpultes, keine Kameraführung)

1 Honorarkraft a 15 Euro/Std.

durchschnittliche Dauer pro Sitzung 1,5 Std.

1 Stunde Vor- und Nachbereitung

Anzahl Sitzungen = 35

35 x 2,5 x 15  =                                   1.312,50 Euro

 

Variante 2 (Bedienung des Mischpultes und zweier Kameras)

3 Honorarkräfte a 15 Euro/Std

1 Stunde Vor- und Nachbereitung pro Sitzung durch 1 Honorarkraft

 

35x1,5x45 =                                        2.362,50 Euro

35x 1  x15 =                                           525,00 Euro

                                                            2.887,50 Euro

 

Ermittlung der jährlichen Kosten bei Einführung von EM-TV :

 

Variante 1 :

Abschreibung (5 Jahre) Technik         6.000,00 Euro

Personalkosten                                   1.312,50 Euro

jährliche Kosten                                  7.312,50 Euro

 

 

Variante 2 :

Abschreibung (5 Jahre) Technik         6.000,00 Euro

Personalkosten                                   2.887,50 Euro

jährliche Kosten                                  8.887,50 Euro

 

Aus Vereinfachungsgründen wurde ein kalkulatorischer Zinssatz für das durchschnittlich gebundene Kapital in die Berechnung nicht aufgenommen.

Ebenfalls noch unberücksichtigt sind die für eine entsprechend leistungsfähige Internetverbindung aufzubringenden Mittel.

 

4. Erfahrungen anderer Kommunen

Eine komplette Übersicht der Kommunen in NRW, die die Möglichkeit der Live-Übertragungen derzeit nutzen, liegt nicht vor.

Bekannt ist, dass die Stadt Bonn (328.000 Einwohner) seit Ende 2009 ihre öffentlichen Ratssitzungen ins Internet überträgt. Begonnen wurde mit einer Standkamera; die Technik wurde inzwischen, auch mit der Intention, die Übertragung für die Nutzer interessanter zu gestalten, weiter ausgebaut. Die Stadt Bonn verfügt inzwischen über einen Pool in Kamera- und Übertragungstechnik geschulter Mitarbeiter, aus dem das für die jeweilige Übertragung benötigte Personal rekrutiert werden kann.

Für die erste Sitzung im Oktober haben sich 582 unterschiedliche Besucher interessiert.

In den darauf folgenden Jahren wurden jeweils 10 öffentliche Sitzungen des Rates live übertragen. Die durchschnittliche Anzahl unterschiedlicher Besucher im Jahr 2010 betrug 423 (die Spanne lag hier von max. 721 bis min.182); im Jahr 2011 interessierten sich durchschnittlich 287 (Spanne von max. 605 bis min.64)  Personen für den Live-Stream.

 

In den Medien zu verfolgen war in den letzten Monaten, dass auch in Nordrhein-Westfalen diverse Kommunen eine Prüfung der Einführung von Live-Übertragung ihrer Sitzungen vorgenommen haben. Häufig wird allein unter Hinweis auf die dauerhaft anfallenden Kosten von der Umsetzung abgesehen.

Die Landesregierung weist in der bereits unter 1. zitierten Antwort auf die Kleine Anfrage 27 darauf hin, dass „die Entscheidung für oder gegen eine Live-Übertragung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung bzw. als höchstpersönliche Entscheidung der Mitglieder der Vertretungskörperschaften getroffen wird. Die Sinnhaftigkeit dieser Entscheidungen wird von der Landesregierung nicht bewertet.“

 

 

5.Fazit

Nach Prüfung der relevanten Aspekte empfiehlt die Verwaltung, die Einführung nicht umzusetzen, da der Aufwand und auch die zu erwartenden bzw. nicht auszuschließenden negativen Begleitumstände in keiner vertretbaren Relation zum zu erwartenden Nutzen stehen.

 

Sachverhalt :

 

Sh. Anlage

Finanz- und haushaltswirtschaftliche Auswirkungen :

 

Die Maßnahme hat keine finanz- und haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen.

 

 

Leitbild :

 

Die Maßnahme steht im Einklang mit den Zielen des Leitbildes Kapitel 6.2.

 

 

 

 

Johannes Diks

Bürgermeister